piwik no script img

Herr und Meister

■ Im Malersaal zu sehen: Koltès' „Die Einsamkeit der Baumwollfelder“

Im echten Leben dauert der Handel zwischen einem Junkie und einem Dealer nur wenige Minuten, manchmal Sekunden. Aber die gedankliche Vor- und Nachbereitung kann viele Stunden beanspruchen, vom Beschaffen des Geldes bis über endlose Gespräche mit anderen Junkies, ob man denn nun betrogen worden sei oder nicht. Bernard-Marie Koltès hat diese Situation in einem Dialog untergebracht und die Phase der gegenseitigen Abschätzung bis zum Handel mit Refle- xionen über das tiefgründige Konkurrenzverhältnis von Händler und Kunden gefüllt. In seiner merkwürdigen Schriftsprache, die gesprochen in ihrer Gestelztheit die Personen von jeder Nachahmung der Wirklichkeit entbindet, breitet Koltès kurze Empfindungen einer Kaufverhandlung aus. Fragen der Sympathie und Antipathie, der Taktik auf beiden Seiten, der zu erleidenden Demütigungen des Anbieters, die kalkulierte Grausamkeit des Kunden, der sich nur bedienen läßt, aber gar nichts kaufen will, die Schaffung von Verlockung und Versuchung und der Instinkt und die Geduld, mit denen dieser Kampf geführt wird, werden von beiden Seiten in sprachlicher Feierlichkeit ausdiskutiert. Dieser Kampf dient Koltès als Metapher für vielerlei: Männerkonkurrenz, Liebe, Naturgesetze, Krieg, Sex und Todessehnsucht.

Die unheimliche Situation, aus der Koltès seinen Wechsel längerer Monologe entspinnt, ist der Besuch eines scheinbar wohlhabenden Mannes an den finstersten Ecken einer Trabantenstadt, wo er zielsicher in Blickkontakt mit dem Dealer tritt. Aus dieser offensichtlichen Aufforderung zu einem verbotenen Handel, aber der Weigerung des Kunden, seinen Wunsch offenzulegen, entwickelt sich das Ausloten von Geheimnis zu Weltanschauung des jeweils anderen.

Michael König, der das Stück für den Malersaal mit Markus Boysen als Dealer und Jochen Tovote als Kunde inszenierte, nimmt weder die Anstrengung aus dem Text, noch versucht er das Stück grell oder schmerzhaft zu inszenieren. Boysen gebiert sich als tuntenhafter Macho mit sentimentaler Softeisseele, die es hinter der gefrorenen Oberfläche zu erhalten gilt. Und Jochen Tovote erscheint als der schmierige Intellektuelle, der unbeantwortet läßt, ob nun der Weichling oder der Choleriker, der Masochist in ihm oder der Herrenmensch sein Herz zur Opferung führt. Doch daß beider Neugier am anderen auf einem fest gefügten Fatalismus steht, macht sie sich so ähnlich und begründet die Faszination am Fremden.

Die recht statische Versuchsanordnung in seinem Betonkäfig mit Neongängen (Bühne: Bettina Meyer; Kostüme: Annabelle Witt) zwingt zum Zuhören, zur Konzentration, und da auch König nicht die Absicht hat, den Dialog mit irgendwelchen Realitäten verwachsen zu lassen, ist der Zuschauer in der Einsamkeit des Publikums ganz auf das Nachsinnen, das Staunen über die Konstruktion und Absicht des Textes geworfen.

Till Briegleb

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen