: „Jeder Künstler ist seine eigene Akademie“
Künstlersozietät oder Vereinsmeierei? Die Berliner Akademie der Künste wird 300 Jahre alt ■ Von Michael Schornstheimer
Als die vereinigten Akademien der Künste Ost und West vor drei Jahren ihre erste gemeinsame Ausstellung präsentierten, wollten sie „jede Hierarchisierung von Räumen“ vermeiden: Bilder und Skulpturen sollten „demokratisch“ präsentiert werden, und deshalb entschieden sie sich für eine „labyrinthische“ Ausstellungsarchitektur. Doch das „Labyrinth“, in dem man sich ja verirren können muß, war gar keins, sondern eher eine Art Spirale. Paradoxer Effekt: noch nie wurde man durch eine Ausstellungsarchitektur konsequenter geleitet. Es war so gut wie unmöglich, auch nur ein einziges klitzekleines Exponat zu übersehen, und wer nicht unbedingt wollte, brauchte keines mehrfach anzuschauen.
Die Ausstellung: „Die Kunst hat nie ein Mensch allein besessen – Dreihundert Jahre Akademie der Künste“, folgt einem völlig neuen Raumkonzept. Im ersten Stock muß man zur Einstimmung zunächst einmal ein Stückchen Dachgarten durchschreiten. Das ist hübsch gedacht, zumal bei besserem Wetter, denn Liegestühle laden dazu ein, auszuruhen und ein bißchen Kraft zu tanken. Kraft, die man zur Bewältigung des Riesenpensums wirklich braucht, doch die Neugier ist größer und man übergeht das Angebot. Was der Besucher später bereuen wird, denn dann verläßt er den Rundgang über eine schäbige (zuvor niemals öffentlich genutzte) Betontreppe, und von nun an sind weit und breit keine Ruhekissen mehr in Sicht. Wohin nun mit dem vom vielen Gucken und Lesen zermürbten Geist, wohin mit den vom krummen Stehen schmerzenden Knochen?
Doch zurück zum Anfang. Die Ausstellung beginnt mit der Gründung der „Akademie der Künste und mechanischen Wissenschaften“ im Absolutismus. Vor dreihundert Jahren versammelte Kurfürst Friedrich III. Maler, Bildhauer, Baumeister und Kunsthandwerker. Zeichnungen, Gemälde, Skulpturen und Architekturpläne beherrschen diese ersten Räume – und ehe man sich versieht, befindet man sich schon mittendrin. Rundgang? Wo war der Rundgang? Da hilft auch der übersichtliche Plan mit dem Ausstellungsgrundriß kaum weiter, schon hat man sich verlaufen – hier war ich schon, dort auch, wo geht es weiter? Ein Labyrinth! Und jetzt wünscht man sich die Spiralarchitektur von vor drei Jahren zurück.
Der nächste Eindruck: eine barocke, überbordende Schau: „Schaut her, was wir alles haben“ – Eine Jubiläumsausstellung! Gewiß Grund genug, tief in den Fundus der eigenen Geschichte zu greifen, aber dabei kann man sich ebenso gewiß auch verlieren. Dreihundert Jahre Akademie der Künste – Anlaß zur Jubelfeier? Gar „protzige Selbstdarstellung in der Situation einer Identitätskrise“, (so der Katalog über die 200-Jahr-Feier von 1896)? Oder nicht eher Grund für eine selbstkritische Rückschau? Der amtierende Präsident Walter Jens hat zur Eröffnung eine Reflexion über die Dialektik von Geist und Macht angekündigt, ein Versprechen, das der 700 Seiten starke Katalog zweifellos hält: Wohl selten hat eine Institution ehrlicher und schonungsloser über sich Auskunft gegeben. Aber die Ausstellung selbst kann das Versprechen nicht einlösen, allein schon wegen des optischen Mißverhältnisses von repräsentativen, übergewichtigen Exponaten und der papierenen Dokumente, die sich jeder mühsam selbst erlesen muß.
Die Akademie der Künste hat im Lauf ihres Bestehens immer wieder bedeutende Künstler angezogen und deshalb auch viele Fährnisse überstanden, aber ebenso war sie auch immer ein Verein von eitlen, selbstbezogenen und mimosenhaften Handwerkern, die argwöhnisch darüber wachten, daß aufkommende Konkurrenz nicht ihr Geschäft verderbe. Zweifellos war Johann Gottfried Schadow ein vorzüglicher Bildhauer seiner Zeit und eine Zierde für die Künstlersozietät, dennoch stagnierte unter seinem 34jährigen Direktorat (1816–1850) die Preußische Akademie. So wußte er beispielsweise die Mitgliedschaft des Malers Adolf Menzel zu hintertreiben. Darauf weist der Katalog ausdrücklich hin, aber in der opulenten Ausstellung wird das optisch nicht deutlich. Wäre es nicht möglich gewesen, diese Dialektik von Künstlersozietät und Vereinsmeierei zu veranschaulichen: durch Leerstellen beispielsweise? Oder durch thematische statt chronologische Gliederung? Zumal es ja auch gerade in dieser Frage souveräne Ausnahmeerscheinungen gab, Max Liebermann zum Beispiel, der Edward Munchs Bilder erklärtermaßen nicht mochte („vom Verstand diktierte Verblödungen“), aber dessen Zuwahl er darum keinesfalls verhinderte. Liebermann wußte, wie er in einem Brief an Arno Holz formulierte, „jeder Künstler ist seine eigene Akademie“, und er war ja auch selbst lange verhindert worden, durch den fotorealistischen Kaiser- und Schlachtenmaler Anton von Werner, ein vorzüglicher Kunsthandwerker gewiß, ein genialer Abmaler, ein Könner, aber doch kein Künstler im Schönbergschen Sinn: Kunst kommt von müssen, nicht von können!
Heutzutage erhebt die Akademie den Anspruch der Politikberatung, verbittet sich aber mit Nachdruck jede Einmischung der Politiker in ihre inneren Angelegenheiten. Eine generelle Überprüfung der Mitglieder anläßlich der Vereinigung von Ost- und Westakademie hat Präsident Walter Jens mit Verve zu verhindern gewußt. Dabei zeigt die Akademiegeschichte, daß der ministerielle Eingriff nicht immer nur von Übel sein mußte: Ende der 20er Jahre sorgte der Kulturminister für frischen Wind in der Sektion Bildende Kunst und Baukunst: unter den ernannten neuen Mitgliedern befanden sich Otto Dix, Ernst Ludwig Kirchner, Emil Nolde, Karl Schmidt-Rottluff, Renée Sintenis, Mies van der Rohe, Bruno Taut, Martin Wagner und Erich Mendelsohn.
Trotzdem drehte bald der Wind: Die Akademie eilte dem Zeitgeist voraus: Max von Schillings, ein völkischer Generalmusikdirektor, wurde als Nachfolger von Max Liebermann Präsident. Kritik kam weniger aus den eigenen Reihen als von Journalisten: „Die ganzen Jahre über hat man laviert, ist man der Reaktion entgegengekommen, war man lieb zu denen, die, wenn sie demnächst das Heft wieder in der Hand haben werden, gewiß alles andere als lieb und nett sein werden“, so Paul Westheim im Kunstblatt. Der völkische Direktor vertrieb Alfred Döblin, Käthe Kollwitz und Heinrich Mann aus der Sozietät. Viele andere Künstler aus allen Sektionen folgten bald darauf. Doch wie es in einem lächerlichen Filmchen, „Preußens Olymp“ (Koproduktion AdK/SFB), zu dem Thema noch nachträglich anbiedernd heißt: „Diese Selbstreinigung wurde der Akademie nicht gedankt.“ Während des Nationalsozialismus verkam sie zu einer bedeutungslosen Einrichtung bedeutungsloser Schreiberlinge und Anstreicher.
Nach dem Krieg war das Prestige der Akademie dermaßen zertreten, daß der Maler Karl Hofer gegen eine Neugründung beziehungsweise gegen die geplante 250-Jahr-Feier protestierte: „Sind Sie stolz darauf, daß die Akademie sich bis zu irgendeinem Jahr dieser Unglückszeit hielt? (...) War nun Herr Professor Schumann ein Büroangestellter oder Präsident einer Akademie?“ Und finster blieben die Verhältnisse nach den Neugründungen in Ost und West: Im Osten sowieso, da wurde reglementiert, kommandiert oder gleich verboten, sogar die Dessau-Oper „Die Verurteilung des Lukullus“, obwohl Dessau alles andere war als ein Agent des Imperialismus. Und im Westen sollte die jüdische Dichterin Mascha Kaléko einen Preis entgegennehmen aus der Hand des Akademiemitglieds Hans Egon Holthusen, der, solange es noch zum guten Ton gehörte, in SS-Uniform einherstolziert war.
Manche Akademiemitglieder mögen berühmt geworden sein, über alle Zeiten hinweg. Die Geschichte der Akademie der Künste aber ist nicht eben besonders ruhmreich. Und nicht nur deshalb gibt es auch nach 300 Jahren wenig Grund zum Jubel: Nicht nur der gläserne Behnisch-Neubau am Pariser Platz ist in Gefahr, den der Berliner Senat am liebsten mit einer Steinhaut verkleiden möchte, damit er zum Betonblock Adlon passe, sondern die Berliner Kunst- und Kulturlandschaft insgesamt. Darauf weisen nicht zuletzt die Studenten und Lehrer der Hochschule der Künste hin: Ein Loch in der Kasse soll gestopft werden durch ein Loch im Hirn.
Bis 15. 9., Akademie der Künste, Hanseatenweg 10. Katalog. Henschel-Verlag. Ca. 700 S., 58 DM.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen