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The Ballad of Inge and Heiner

Dichter „beleidigt“, Witwe gekränkt: Eine Biermann-Ballade zu Heiner Müllers erster Frau Inge Müller darf nicht erscheinen, weil von „des genialen Mackers Mickerleben“ die Rede ist. Ikone Heiner steht gegen „Lügensau Biermann“  ■ Von Peter Walther

Die Geschichte mutet wie eine Posse aus jüngst vergangenen Zeiten an. Doch als die Germanistin Ines Geipel vor anderthalb Jahren damit begann, einen Band mit Texten von Heiner Müllers zweiter Frau, der Lyrikerin Inge Müller, zusammenzustellen, war der Kult um den toten Müller noch nicht abzusehen.

Dabei sollte es doch einmal nicht um ihn gehen. „Inge Müller war der erste wichtige weibliche Autor lyrischer Texte in der DDR“, schrieb Adolf Endler in einem großen Essay über die Dichterin 1979 in Sinn und Form. Das schmale Werk von Inge Müller hatte sich zu DDR-Zeiten jedoch schon lange vorher als ein Geheimtip herumgesprochen. Anders als die platten Elogen auf den sozialistischen Aufbau (dem sie übrigens prinzipiell zustimmte) wirken die Gedichte von Inge Müller authentisch, wo sie das eigene Erleben im Krieg thematisieren: „Da fand ich mich / Und band mich in ein Tuch; / Ein Knochen für Mama / ein Knochen für Papa / Einen ins Buch“ („Trümmer 45“). Der Stil dieser Gedichte ist der des „permanenten Stilbruchs“, wie Endler schreibt, „eine Poesie knapp vorm Absturz“. Dort befand sich die Autorin während der letzten Jahre ihres Lebens. Von ihren traumatischen Kriegserlebnissen – sie war drei Tage unter einem Berliner Mietshaus verschüttet gewesen und hat später ihre Eltern aus den Trümmern ihrer Wohnung graben müssen – hat sie sich zeitlebens nicht erholt. Die Isolierung, die auf das Verbot von Heiner Müllers „Umsiedlerin“ folgte, verstärkten ihre Selbstzweifel, Depressionen ertränkte sie in Alkohol. Nach zahlreichen mißglückten Selbstmordversuchen starb sie 41jährig an einer Überdosis Tabletten.

Nun soll – im angeblichen Interesse ihres Mannes – der Band mit alten und bisher nicht veröffentlichten Texten sowie Essays zu ihrem Werk nicht erscheinen – jedenfalls nicht in Verantwortung der Herausgeberin. Die Witwe Müllers, Brigitte Mayer (31), sieht sich und ihren Mann verunglimpft.

Dabei fing alles ganz harmlos an: Ines Geipel, die in Jena Germanistik studiert hat und im Sommer 1989 über Ungarn in den Westen gekommen war, wendet sich mit der Bitte um Unterstützung für ihr Editionsvorhaben an das Brandenburgische Literaturbüro in Potsdam und die Kulturstiftung Berlin. Sie erhält die Zusage für einen Druckkostenzuschuß durch das Literaturbüro sowie ein Stipendium der Kulturstiftung für vier Monate. Als Verlag für den geplanten Band bietet sich Aufbau an, hier war 1985 zum ersten Mal ein Band mit Inge Müllers Gedichten erschienen, der seit 1968 auf Eis lag. Der damalige Lektor, Joachim Schreck, war unter anderem deshalb entlassen worden, weil er sich weigerte, schriftlich den Einmarsch der Warschauer-Pakt- Truppen in der Tschechoslowakei zu bejubeln.

Der Aufbau-Verlag steht dem Editionsvorhaben von Ines Geipel aufgeschlossen gegenüber und stellt sich somit – so glaubt zumindest die Herausgeberin – auch der eigenen Geschichte. Im Einvernehmen mit der Lektorin wird die Auswahl der Texte und der begleitenden Essays getroffen, gleichzeitig versichern sich Verlag und Herausgeberin der Rechte für die Gedichte und Prosa von Inge Müller, die zur Hälfte bei ihrem Sohn, zur anderen Hälfte bei der Witwe von Heiner Müller, Brigitte Mayer, liegen. Zu den Fundstücken, die Ines Geipel im Archiv gemacht hat, gehört ein Biermann-Porträt- Gedicht von Inge Müller. Dieses Gedicht konnte aus naheliegenden Gründen in der Ausgabe von 1985 nicht erscheinen. Die Herausgeberin bittet nunmehr Biermann, als Antwort auf dieses Gedicht einen Beitrag für den Band zu schreiben. Nach einigem Hin und Her schickt Biermann die „Legende vom Selbstmord der Inge Müller im Jahre '66“.

Die Auswahl steht fest, der Band ist im Herbstkatalog angekündigt, und eigentlich kann nichts mehr schiefgehen. Zum 30. Todestag der Lyrikerin plant die Literaturwerkstatt Berlin eine Gedenkveranstaltung und eine Lesung zu Ehren von Inge Müller. Brigitte Mayer hat einen Gedenkstein gestiftet, der am späten Nachmittag auf dem Friedhof in Pankow enthüllt wird. Auf der anschließenden Veranstaltung sollen auch unveröffentlichte Texte von Inge Müller aus dem bereits angekündigten Band gelesen werden. Entgegen der Absprache und entgegen allen Gepflogenheiten gibt die Lektorin das gesamte Manuskript an den Veranstalter weiter. Von dort bekommt die Witwe Heiner Müllers Kenntnis von dem Gedicht, das Wolf Biermann über Inge Müller geschrieben hat, und ist entsetzt: „Und sie flieht aus ihres genialen Mackers Mickerleben / Und sie springt dem guten Tod, Freund Hein, auf seine Schippe (...)“, heißt es darin. In einer Presseerklärung schreibt Brigitte Mayer: „In dieser Ballade beleidigt Biermann meinen Mann Heiner Müller und mich und letztlich auch Inge Müller.“ Die Witwe Müller kündigt an, daß sie „die besagte Biermann-Ballade nicht in diesem Buch dulden werde“.

Hier hätte die Geschichte eigentlich ihr Ende. Der unselige Einfluß von Erben (es gibt auch Ausnahmen!) auf das öffentliche Bild der beerbten Dichter ist hinlänglich bekannt, eine ganze Literaturgeschichte ließe sich unter diesem Aspekt schreiben, von Elisabeth Förster-Nietzsche bis zur Brecht-Erben-Clique. Letztere bescherte der Witwe Müllers durch den Einspruch in Sachen „Germania 3“ gerade selbst hinreichenden Ärger.

Aber nicht um die verletzten Gefühle von Brigitte Mayer geht es hier oder um die unsinnigen urheberrechtlichen Bestimmungen, die es ihr erlauben, diesen Gefühlen Luft zu machen. Vielmehr hat sie mit ihrem Verhalten einen Zug in Bewegung gesetzt, auf den alle springen, die rotsehen, wenn sie „Biermann“ hören, vorneweg die Lektorin des Aufbau-Verlags. Wie sie nur so unverantwortlich mit dem Erbe von Inge Müller umgehen könne, indem sie auf Biermann beharre, wurde Ines Geipel am Tag der Veranstaltung in der Literaturwerkstatt vorgeworfen. „Ich mag Biermann auch nicht“, gestand ein wichtiger Repräsentant der Berliner Literaturförderung, Worte wie „Lügensau Biermann“ fielen, und die Mehrheit der Anwesenden war sich, obwohl die meisten den Text nicht kannten, einig in ihrem Haß auf Biermann. Allein Adolf Endler versuchte zu schlichten: „Man muß diese Stimme aushalten.“

Im Einvernehmen mit Ines Geipel hat Wolf Biermann seine Beiträge in dem Band (neben der Legende einen bereits gedruckten Brief) zurückgezogen. Noch ist nicht klar, wie sich der Verlag schließlich verhalten wird. Es bleibt zu hoffen, daß er sich hinter seine Herausgeberin stellt. Das Brandenburgische Literaturbüro verteidigt die Position von Ines Geipel und hat bereits angekündigt, seinen Druckkostenzuschuß von 5.000 Mark zurückzuziehen, sollte das Buch ohne Biermann erscheinen. Das wäre freilich, gemessen an dem Imageverlust, der geringste Schaden für den Aufbau- Verlag.

Die Vehemenz, mit der die Ikone Heiner Müller verteidigt und der Renegat Biermann abgewiesen wird, ist mehr als eine zufällige Erscheinung. Sie markiert ein neues Selbstbewußtsein, das auf den Trümmern des intellektuellen Zusammenbruchs von 1989 gewachsen ist.

Vorbei ist die Zeit der Zerknirschung, und wer – wie die Herausgeberin – im Zusammenhang mit der DDR das Wort „Diktatur“ gebraucht, sollte sich darauf einstellen, als „Bild-Journalistin“ beschimpft zu werden. Als Biermann zur Beerdigung seines Freundes Heiner Müller nach Berlin fahren wollte, bekam er telefonisch eine Morddrohung. „Wie nah sind uns manche Tote“, hat der Liedermacher schon vor Jahren geschrieben, „doch wie tot sind uns manche, die leben.“

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