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Auf die Schnelle ist dem Watt nicht zu helfen

■ Eine Senkung des Schadstoffeintrags, für Experten die Ursache, ist nicht in Sicht

„Bisher haben bei den Flügen über das Watt zwei Zeichner die schwarzen Flächen in Karten eingetragen“, sagt Hermann Michaelis von der Forschungsstelle Küste des niedersächsischen Landesamtes für Ökologie. Jetzt soll „eine Befliegung mit Luftbildern“ die Wattflächen exakt bestimmen, in denen nur noch „organisches Material verwest“.

Im schwarz gefärbten Watt wird mehr Pflanzenmasse produziert, als die dort lebenden Tiere verbrauchen können. Dadurch beginnt der Boden zu faulen. Nur noch die entsprechenden Bakterien vermehren sich in den extrem sauerstoffarmen Zonen. Die übrigen Lebewesen sterben ab, und sorgen so noch einmal für Nachschub an organischem Material. „Das ist dann ein sich selbst verstärkender Prozeß“, sagt Michaelis. Die Wattflächen, über denen „es jetzt nach Verwesung riecht“, sind zum Teil durchgängig schwarz, zum Teil auch nur von großen schwarzen Flecken übersät. Auch wenn die quantitative Auswertung noch aussteht – von fünf bis zehn Prozent toten Watts zwischen Ostfriesland und den vorgelagerten Inseln zu sprechen, hält der Ökologe für „realistisch“.

Daß das faulende Watt Folge einer langjährigen Überdüngung ist, steht für den Biologen außer Frage. Dennoch hat es ihn überrascht, daß „das gerade in diesem Jahr passiert“. In diesen Jahr habe es bisher kein rapides Algenwachstum gegeben, das dem Wasser den Sauerstoff entzieht. Auch seien durch den regenarmen Winter weniger Nährstoffe eingetragen worden als sonst. „Die Wasserwerte sind nicht schlechter als in den vergangenen Jahren. Das Ganze muß also Ergebnis der langjährigen Speicherung von Nährstoffen im Boden sein“, so Michaelis.

Wattlebewesen sind die Kläranlage für die Nordsee

Die Nährstoffe werden über die Flüsse und die Luft in die Nordsee eingetragen. Nach Ansicht von Hermann Michaelis könnte aber auch eine erneut zunehmende Belastung durch die Schiffahrt bei der Entstehung der schwarzen Flächen eine Rolle spielen. Seit in den Häfen die Entsorgung von Ölabfällen nicht mehr kostenfrei ist, wird wieder mehr auf See abgelassen. Und Ölfilme auf dem Wasser behindern die Aufnahme von Sauerstoff.

Gerade vor den langfristigen Folgen einer dauernden Überdüngung der Nordsee warnen Umweltschützer wie der hannoversche Ökologe Konrad Buchwald seit vielen Jahren. Der einstige BUND-Landesvorsitzende, der schon vor einem Jahrzehnt in einer umfangreichen Studie Alarm schlug, sieht auch heute noch im Eintrag von Überschußdünger aus der Landwirtschaft eine wesentliche Ursache für die nachhaltige Schädigung des Watts. Außerdem würde sich eine Reihe von toxischen Stoffen aus der Industrie vor allem in den Muscheln anreichern. Bisher hätten diese Wattlebewesen „als eine biologische Großkläranlage für die Nordsee fungiert“, sagt Buchwald. Auch der Nitrateintrag aus Autoabgasen trage über den Luftweg entscheidend zur Überdüngung der Nordsee bei.

Aktuell ist eine drastische Reduzierung des Schadstoffeintrags nicht in Sicht, die allein dem faulenden Watt wieder Leben einhauchen könnte. „Kurzfristige Maßnahmen sind leider nicht möglich“, heißt es lapidar im niedersächsischen Umweltministerium. Die Sprecherin von Monika Griefahn kann immerhin auf Niedersachsens Forderung nach einer Stickstoffsteuer verweisen, die die Bauern über den Preis zum sorgsameren Umgang mit Düngemitteln zwingen soll.

Doch der Weg zu dieser Düngersteuer ist noch weit: Zunächst soll sie der Bundesrat beschließen und sie danach der EU-Kommission vorschlagen. Ansonsten sind eher Rückschritte abzuwehren, beim Kläranlagenbau etwa. Ab 1998 schreibt bisher eine EU- Richtlinie für alle Kläranlagen jene dritte Reinigungstufe vor, bei der auch die Nährstoffe aus den Abwässern entfernt werden. Doch nicht nur die großen niedersächsischen Städte sind bei der Aufrüstung ihrer Kläranlagen zögerlich. Teile der Bundes-CDU und auch einige Bundesländer verlangen eine Verschiebung des Pflichttermins für die dritte Klärstufe. Jürgen Voges, Hannover

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