: Neue Stasi auf dem Campingplatz
■ Auf Rügen wirbt der Verfassungsschutz Spitzel unter den Tourismusmitarbeitern an. Suche nach "Linken", die "so lange Haare haben". Illegaler Telefonmitschnitt überführt Innenminister der Lüge
Berlin (taz) – Auch Verfassungsfeinde machen Urlaub. Das oder etwas ganz ähnliches mußte die Frau mit dem Namen Babke im Kopf haben, als sie sich am vorletzten Donnerstag auf den Weg zur Kurverwaltung in Göhren auf Rügen machte.
Im Büro des Kurdirektors Paul Bolle zückt die Dame einen Ausweis des Schweriner Innenministeriums. Dem Leiter der Kurverwaltung gibt sie zu verstehen, sie käme vom Verfassungsschutz. Eher harmlos klingt, was Frau Babke vom Tourismusmitarbeiter der Ostseeinsel möchte. „Sie bat mich“, erinnert sich Paul Bolle, „es zu melden, wenn politisch Verdächtige – sowohl aus dem linksextremen als auch aus dem rechtsextremen Bereich – auf unserem Campingplatz auftauchen. Sie nannte mir dafür ihre eigene Telefonnummer in der Abteilung 6 des Schweriner Innenministeriums.“
Damit nahm Mecklenburg- Vorpommerns neuer Verfassungsschutzskandal seinen Anfang. Denn nicht nur in Göhren war die Verfassungsschützerin Babke unterwegs. Im Bestreben, verfassungsfeindlichen Campern auf die Schliche zu kommen, hatte sie zuvor auch schon Bolles Kollegen Gerd-Jürgen von Beslow im benachbarten Kurort Baabe aufgesucht.
Am Tag darauf rief Paul Bolle bei Frau Bakbe in der Landeshauptstadt an. Er möchte wissen, wie denn bitteschön unter den Inseltouristen die Gesuchten zu erkennen seien. „Ich solle auf langhaarige Linke oder buntgescheckte Personen sowie Punks und Kahlköpfige achten.“ Das, sagt Bolle, war die Auskunft des Verfassungsschutzes. Und begründet wird der Wunsch nach den Informationen mit der Sammlung von Erkenntnissen über mögliche rechtsextreme Gewalttaten.
Wie sein Kollege von Beslow in Baabe weigert sich auch Paul Bolle, Spitzeldienste für den Verfassungsschutz zu verrichten. Und nebenbei erfährt er, daß er nach Aussagen des Verfassungsschutzes einer der wenigen von insgesamt 56 angesprochenen Personen sei, die da „nicht mitmachten“.
Sechseinhalb Jahre nach dem Fall der Mauer feiert in Mecklenburg-Vorpommern im Sicherheitsbereich die Tonnenideologe fröhlich Urständ. Die Meldungen über die Anwerbeversuche des Verfassungsschutzes erreichen Tage später die Landeshauptstadt Schwerin. Innenminister Rudi Geil (CDU) versichert daraufhin im Innenausschuß des Landtags tapfer, in der beschriebenen Form sei nie und niemals nach Rechten oder Linken gefragt oder geforscht worden. Den Wunsch der Verfassungsschützer nach Informationen über Campingplatzbesucher rechtfertigt er allerdings mit der Bekämpfung des Rechtsextremismus. Als ob das die umfangreichen Anwerbeversuche unter den Rügener Tourismusmitarbeitern rechtfertigen könnte.
Vergangenen Freitag ging dann eine kleine Bombe hoch. Dem Landesverband der Bündnisgrünen wurde eine Tonbandkassette zugespielt – es ist ein illegaler Mitschnitt des Telefonates von Kurdirektor Bolle mit der Verfassungsschützerin Babke. Der Inhalt widerlegt die Aussagen von Rudi Geil. Das Band belegt, daß Frau Babke in der Tat um spezielle Informationen gebeten hatte, über „Buntgescheckte“, „Punks“ und „Linke, die so'n bißchen lange Haare oder dieses Outfit haben“.
Die Datenschutzbeauftragte des Landes, Gabriele Schulz, urteilt mittlerweile: ein schwerer Verstoß gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Auch habe der Verfassungsschutz das Gebot der Verhältnismäßigkeit verletzt.
Innenminister Geil geht notgedrungen auf Distanz zum Landesverfassungsschutz. Er ließ die Mitarbeiterin Babke in eine andere Abteilung der Behörde versetzen. Wegen des illegalen Telefonmitschnitts erstattet Rudi Geil Strafanzeige. Er bedauert weiter, daß es bei der Umsetzung gesetzlich erlaubter Maßnahmen gegen Extremisten zu „handwerklichen Fehlern“ gekommen sein könnte.
Der Innenausschuß in Schwerin wird sich heute in nicht-öffentlicher Sitzung mit den Vorwürfen gegen den Verfassungsschutz beschäftigen. Für den Koalitionspartner SPD steht derweil bereits fest, daß Minister Rudi Geil das Gremium in „diesem gravierenden Fall“ belogen hat. Keine zwei Monate nach der mühsamen Rettung der Großen Koalition droht nun eine neue Regierungskrise in Mecklenburg-Vorpommern. Die Frage, wer das prekäre Telefonat eigentlich mitgeschnitten hat, wird dann wohl in den Hintergrund treten. Wolfgang Gast
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