: „Unkraut im Paradiesgarten“
■ Die Tagebücher Victor Klemperers im Hörfunk und im TV
Mit den Tagebüchern des Victor Klemperer sorgte der Aufbau- Verlag für die Literatursensation des Jahres 1995. Das Journal des von den Nazis als „Sternjude“ verfolgten Sprachwissenschaftlers ist eine detailgenaue Dokumentation des Alltags und des Terrors des NS-Regimes, eine Chronik der staatlichen Entrechtung der Juden bis zur Vernichtung. Und zugleich die Auseinandersetzung eines überzeugten Anhängers der Aufklärung mit dem Rückfall hinter die Ideale von 1789. Klemperer notiert am 17. März 1933: „Es ist erschütternd, wie Tag für Tag nackte Gewalttat, Rechtsbruch, schrecklichste Heuchelei, barbarische Gesinnung als Dekret hervortritt.“
Fast ein Jahr nach der Veröffentlichung sind 750.000 Exemplare der Tagebücher verkauft. Nun zeichnet sich ab, wie die Klemperer-Notizen hierzulande für Hörfunk und Fernsehen aufbereitet werden sollen: Das Deutschland Radio und der ORB haben ein großes Hörspielprojekt begonnen. Vom 9. November an soll an sechs Tagen eine Bearbeitung des Berliner Schriftstellers Klaus Schlesinger gesendet werden. Für die Rolle des Klemperer ist der Schauspieler Udo Samel im Gespräch.
Schon jetzt hat das Deutschland Radio eine Klemperer-Lesung im Programm. Ab heute trägt der Schauspieler Jerry Wolff in fünf Teilen die Nachkriegstagebücher vor. Sie schließen an die Aufzeichnungen von 1933 bis 1945 an. Die Eintragungen von Juni bis Dezember 1945 lassen eindrucksvoll deutlich werden, daß es keine „Stunde Null“, keinen radikalen Neubeginn gab (Klemperer: „Ein bißchen allzuviel Unkraut im Paradiesgarten“). Der Aufbau-Verlag bringt die Notizen gerade als Buch heraus.
Eine Fernsehbearbeitung der Tagebücher in 13 Teilen plant die Berliner Firma Neue Filmproduktion TV. Sie hat vom Aufbau-Verlag ein Vorverkaufsrecht erworben. Nach Angaben der Produzenten wird schon mit ARD und ZDF verhandelt; es kämen aber auch kommerzielle Sender in Frage, allerdings nur bei einem „seriösen Sendekonzept“ (vermutlich ohne Werbeunterbrechungen).
Das Drehbuch schreiben soll der Film-, TV- und Radioautor Peter Steinbach. Steinbach arbeitet zur Zeit an einem Vierteiler nach dem Roman „Jahrestage“ von Uwe Johnson. Der Grimmepreisträger hat unter anderem die Drehbücher zu Edgar Reitz' erster „Heimat“-Staffel und Joseph Vilsmaiers „Herbstmilch“ verfaßt. Einen Regisseur für das Projekt gibt es nach Auskunft der Produktionsfirma noch nicht. kotte
„Victor Klemperers Tagebücher: ,Am Morgen des 15. Reisetages...‘ – Lesung der Nachkriegseintragungen von Juni bis Dezember 1945“. Deutschland Radio Werkstatt, 0.05 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen