: Das Boulevardblatt bin ich
„Kettensägen-Massaker“ in der „Hamburger Morgenpost“: Der neue Chefredakteur Mathias Döpfner feuert die halbe Redaktion ■ Von Marco Carini
Fast allen leitenden RedakteurInnen des kleinformatigen Hamburger Boulevardblattes wurde Anfang der Woche der Stuhl vor die Tür gesetzt. Gleich sieben RessortleiterInnen legte Mathias Döpfner, seit April Chefredakteur der Gruner+Jahr-Gazette, am Montag abend nahe, mit hohen Abfindungen belohnte Auflösungsverträge zu schließen. Sollten die JournalistInnen nicht unterschreiben, so drohte der Exchef der Berliner Wochenpost unverblümt, würden sie umgehend entlassen.
Die Entscheidung, verkündete Döpfner, „sei nicht rückgängig zu machen“. Nur zweien der sieben JournalistInnen, dem Chefreporter und dem Leiter der Lokalredaktion, wurden von dem 33jährigen Krawattenliebhaber Ersatzarbeitsplätze zu Billiglöhnen angeboten.
Jürgen Bischoff, Chef der Deutschen Journalisten-Union (dju) in Hamburg, spricht von einem beispiellosen „Kettensägen-Massaker“, mit dem „sich Chefredaktion und Geschäftsleitung ihrer leitenden Redakteure entledigen“ würden. Im Flurfunk der Redaktion in der Griegstraße ist von „Gutsherrenart“ und „Kahlschlag“ die Rede, eine Krisensitzung jagt die nächste. Der Grund für den kollektiven Rausschmiß: Seit Jahren verliert die Morgenpost beständig LeserInnen. In den vergangenen anderthalb Jahren sank die Auflage von 175.000 auf rund 150.000 verkaufte Exemplare. Auch die Versuche Döpfners, das Blatt zur politikfreien Zone zu machen und das Niveau auf den Standard der Bild- Zeitung zu drücken, konnten die Talfahrt bislang nicht stoppen.
Neben dem konsequenten Kurs gen Nullniveau änderte sich mit Döpfner auch die politische Ausrichtung der einst sozialliberal orientierten Zeitung. „Auf Minderheiten und Randgruppen wird neuerdings eingeprügelt“, faßt ein Mopo-Mitarbeiter die populistische Neuorientierung zusammen. Am Dienstag abend lieferte Döpfner auf einer Redaktionssitzung die Begründung für den kollektiven Rausschmiß nach: Die geschaßten MitarbeiterInnen hätten „nicht gezeigt“, daß sie für sein neues, noch strenggeheimes Konzept „Mopo 96“ offen seien.
Ihre Mitarbeit, so kontert ein Redakteur, sei allerdings auch „nie gefragt“ gewesen. Denn schon wenige Tage nach Amtsantritt hatte das Hätschelkind von G+J-Vorstand Gerd Schulte-Hillen seine leitenden RedakteurInnen entmachtet. Statt selbst über die Zeitungsthemen zu bestimmen, dürfen die RessortleiterInnen dem neuen Chef nur noch Vorschlagslisten überreichen. Die Betroffenen nahmen ihre Degradierung zähneknirschend hin – doch ihr Gehorsam zahlte sich nicht aus. In Zukunft sollen die Ressorts ganz aufgelöst werden. Schon heute entscheidet Döpfner weitgehend im Alleingang, was gedruckt wird. Jeder Text, der länger als eine Meldung ist, muß auf den Schreibtisch des neuen Alleinherrschers wandern und erfährt dort weitgehende Mutationen. Eine Redakteurin: „Wir erkennen unsere Texte zum Teil nicht mehr wieder.“ Als die schockierten ZeitungsmacherInnen am Dienstag auf einer Betriebsversammlung über die neue Situation berieten, versuchte Döpfner im Verbund mit der Geschäftsführung, die Zusammenkunft aufzulösen. Als die Mopo- Bediensteten sich weigerten, wurden sie namentlich notiert.
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