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Bombenanschlag in Moskauer Metro

■ Vier Menschen getötet. Ermittler tappen noch im dunkeln, Polizei verstärkt Sicherheitsmaßnahmen. Präsident Boris Jelzin versucht, mit dem Terrorakt Pluspunkte im Wahlkampf zu machen

Moskau (taz) – In der Moskauer Metro explodierte am Dienstag abend eine 500 Gramm schwere Bombe. Vier Menschen starben und elf erlitten schwere Verletzungen. Der Sprengsatz enthielt nach Angaben von Experten Metallsplitter und wurde durch einen Zeitzünder ausgelöst. Die Bombe war im ersten Waggon unter einer Sitzbank deponiert und explodierte in einem schwer zugänglichen Tunnel am Südrand des Stadtzentrums. Die Passagiere der Moskauer Metro reisen außerhalb der Stoßzeiten bevorzugt in den Waggons an der Spitze des Zuges, weil diese als weniger gefährdet gelten.

Während der Moskauer Untergrund gezielt seine Opfer ausschaltet, forderte dieser Terrorakt zum ersten Mal das Leben unbeteiligter Bürger. Mit Beginn des Tschetschenienkrieges wurden die Sicherheitsvorkehrungen in der Metro bereits verschärft. 400 Sicherheitsbeamte fahren in den Zügen mit, an den Endstationen kontrollieren Polizisten die Züge nach verdächtigen Gepäckstücken. Alle 30 Sekunden werden die Passagiere in der Metro über Lautsprecher aufgefordert, nach Gegenständen und verdächtigen Personen Ausschau zu halten.

Präsident Boris Jelzin sprach den Angehörigen der Opfer gestern sein Beileid aus, versuchte aber, als Wahlkämpfer noch Kapital daraus zu schlagen: „Dieser grauenhafte, barbarische Akt am Vorabend der Wahlen zielt darauf ab, die Lage in der Hauptstadt zu destabilisieren und eine Atmosphäre der Angst und Unsicherheit in Rußland zu schaffen.“ Er forderte seine Landsleute auf, solchen Machenschaften „am 16. Juni durch eine Stimme für Frieden, Stabilität und die Zukunft Rußlands“ entgegenzutreten: durch eine Stimme für ihn.

Bisher führte die Untersuchung des Tatorts noch zu keinen Ergebnissen. Bei der Polizei meldete sich ein Anrufer und warnte: „Das war erst der Anfang.“ Trotzdem läuft der Verkehr wie gewohnt weiter. Viele Passagiere an der Station Tulskaja, hatten gestern von dem Anschlag noch gar nichts gehört. Rußland feiert am 12. Juni den „Tag der Unabhängigkeit“.

Stadtoberhaupt Jurij Luschkow schloß nicht aus, daß der Anschlag mit den Bürgermeisterwahlen in Zusammenhang steht, die ebenfalls am kommenden Sonntag stattfinden. Andere Quellen vermuten, die rotbraune Extremistenszene wolle den Ausnahmezustand vor den Wahlen provozieren. Wieder andere wollen auch einen tschetschenischen Racheakt nicht ausschließen. Bei jeder dieser Versionen ist Vorsicht geboten: Alle Beteiligten können politischen Nutzen daraus ziehen. Klaus-Helge Donath

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