: „Jede Organisation kann sich verbessern“
■ Thomas Hertz, Geschäftsführer der IHK Berlin, zum Mitgliederschwund der Kammern
taz: Kürzlich haben sich 2.000 UnternehmerInnen zusammengeschlossen, die gegen die Zwangsmitgliedschaft in den bundesdeutschen Industrie- und Handelskammern protestieren. Sie wollen nicht mehr für Leistungen zahlen, die sie nicht brauchen.
Thomas Hertz: Diesen angeblich 2.000 Verweigerern stehen knapp 3 Millionen Kammermitglieder in ganz Deutschland gegenüber. Wir nehmen unsere Kritiker ernst, aber wir sollten die Dimension nicht überbewerten.
Kleinbetriebe begreifen die Kammern nicht mehr als ihre Interessenvertretung. Sie halten sie für zu beamtenmäßig. Außerdem beschweren sie sich, daß die Gebäude der IHKs extrem nobel sind, derweil sie selbst oft kurz vor der Pleite stehen. Da klafft ein Widerspruch zwischen Ihrem Anspruch und der Vorstellung dieser Mitglieder.
Wie Sie in unserer Kammer sehen, nutzen wir ganz normale Arbeitsräume. Unser Service-Center richtet sich besonders an kleine Unternehmen. Dennoch ist es zutreffend, daß Betriebe aus einem etwas kleinflächigeren Bereich und kleinteiligeren Betriebsformen oft nicht sehen, wo der Nutzen der IHKs für sie direkt liegt. Sie bilden oft keinen Nachwuchs aus und nehmen deshalb diese Leistungen der IHK auch nicht in Anspruch.
Viele Unternehmen sehen aber den Nutzen. Es gibt in Deutschland 250.000 Unternehmer oder Angestellte von Unternehmen, die ehrenamtlich an diesen Aufgaben der Kammern mitwirken. Und dagegen stehen, wie der Verband selbst angibt, nur 2.000 Verweigerer.
Sie sagen, sie nehmen die Kritiker ernst. Sehen Sie Defizite in Ihrer eigenen Organisation?
Jede Organisation kann sich weiter verbessern. Wir sind ständig dabei, das zu tun. Wir haben in den letzten Monaten unseren Servicebereich geschärft. Zum Beispiel haben wir hier in Berlin einen runden Tisch für Firmen in Liquiditätsschwierigkeiten gebildet und allein in den vergangenen Wochen über 200 Arbeitsplätze gerettet. Nun frage ich die IHK-Verweigerer, ob sie einen einzigen Arbeitsplatz gerettet haben.
Die Beitragsstruktur hat sich Anfang 1994 massiv geändert. Die Kleinen müssen jetzt viel mehr, die Großen weniger zahlen.
Höhere Steigerungsraten gibt es nur bei solchen, die relativ hohe Erträge haben, aber nicht ins Handelsregister eingetragen waren – zum Beispiel Versicherungsvertreter. Die zahlten früher zwischen 50 und 100 Mark. Jetzt werden sie nach dem Ertrag veranlagt. Da sind hohe Sprünge vorgekommen. Aber der normale Kleinstbetrieb zahlt nach wie vor nicht mehr als 100 Mark. Wir haben festgestellt, daß unter den Kleinen sehr viele sind, die ihre unternehmerische Tätigkeit in einer Art Nebenberuf ausüben – das sind mehr, als wir früher geglaubt haben. Das sind oft ganz normale Arbeitnehmer oder Hausfrauen, die ein Gewerbe angemeldet haben, wie zum Beispiel die Avonberaterin. Bei denen werden wir überlegen, Erlaßanträge noch großzügiger zu behandeln als vorher. Interview: Annette Jensen
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