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Neues aus Ohlenstedt (2)Der Freud'sche Gartenschlauch

■ Alles über den Zusammenhang von Heckenrosen und Reckenhosen

Opa Möller sitzt im Unterhemd auf der Terrasse. Er hat die Daumen hinter seine Hosenträger geklemmt und erzählt vom Volkssturm. Opa Möller hat Ableger von seinen weithin gerühmten Heckenrosen gebracht: „Die wachsen, Leute, die wachsen. Unterirdisch. Ein Teufelszeug.“ Unter Lebensgefahr hat Opa Möller seine Heckenrosen angeblich in einer nebligen Nacht des November 1944 vom Splitterschutzwall der Osterholzer Flakstellung geklaut: „Irgendwas mußte man ja machen im Widerstand.“

Jürgen und ich können nicht richtig zuhören. Denn uns hat Fräulein Steffens wieder einmal zu tief in die Augen geschaut. Gestern abend, als sie sich unseren 40-Meter-Gartenschlauch ausgeliehen hat. Daraufhin mußten Jürgen und ich sehr viel Flemlinger Zechpeter trinken und haben auf der Terrasse so lange „Jersey Girl“ gesungen, daß die Ohlenstedter Dorfhunde sich die ganze Nacht nicht mehr beruhigen konnten.

Jürgen hat heute zum Frühstück Thunfisch aus der Dose gegessen und um lindernde Medikamente gebeten. Er verträgt keinen Rheinpfälzer. Früher hat er beim Mopedfahren Lambrusco aus der Zweiliterflasche getrunken. Das war die höchste Stufe der Trinkkultur, die er jemals erreicht hat.

Jedesmal, wenn Fräulein Steffens sich den Gartenschlauch ausborgt, nimmt es mit Jürgen und mir ein schlimmes Ende, und wir sind hinterher völlig fertig. Für Rosi ist dies Anlaß zu gehässigen Wortspielen: „Freud–scher Gartenschlauch“ und so. Geschenkt.

Jürgen und ich holen uns lieber ein Stück Streuselkuchen und krümeln ein bißchen vor uns hin. Opa Möller erzählt, daß die Hülseberger Dorfburschen früher in der Nazizeit jeden in die Hamme geschmissen habe, der mit „Heil Hitler“ gegrüßt hat. Und dann haben sie doch im Munitionswerk Überstunden gekloppt. Sogar noch nach Stalingrad: „Hör bloß auf mit: ,Früher war alles besser ...'“

Opa Möller hat seine Frau in Gröpelingen kennengelernt. Kurz nach dem Krieg. Im August 1916 hat er ihr nachts ein großes Herz aus Frühkartoffeln vors Haus gelegt. Und als sie am Morgen davorstand – das war damals mehr als Liebe.

Ich lehne mich zurück und blinzle nachdenklich durch die Birkenwipfel zum Himmel, wo die jungen Bussarde kreisen. Frühkartoffeln. Ein 40-Meter-Gartenschlauch: Symbole für die großen Gefühle der Nachkriegszeit. Die Epoche der Emotionen. Was mag danach kommen?

Im Blauregen summt schläfrig das Hummelgeschwader. Aus dem Erlengrund ruft der Kuckuck und zählt gelangweilt die Minuten, bis Fräulein Steffens den Gartenschlauch zurückbringt. „Nach Mittag“ hat sie gesagt. Vielleicht auch „Nachmittag“. Egal.

Jürgen döst über seinem Glas Aspirin plus C. Der Samstag bummelt sich durch seine Stunden. Die Schwalben bauen am Giebel. Da schaut man gerne zu. „Nothing else matters in this whole wide world, when you're in love with a Jersey girl. Sing sha la la la ...“ Lutz Wetzel

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