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Offene Jugendarbeit noch gewollt?

■ Gerüchte um Schließungen und Stellenstreichungen sorgen für Aufruhr in den Freizis

Das Jugendfreizeitheim Findorff war am Dienstagabend gut besucht, nicht nur wegen des Fußballspieles Türkei gegen Kroatien, dessentwegen die SozialpädagogInnen das Freizi extra aufgeschlossen hatten. Etwa hundert Erwachsene und Jugendliche trafen sich, um gemeinsam mit Politikerinnen über die Perspektiven und Aufgaben der Jugendfreizeitheime in Bremen zu diskutieren. Ein Schreckgespenst stand über der ganzen Veranstaltung: Angeblich sollten im Rahmen des Haushaltsentwurfes bis zu 16 Stellen in der offenen Jugendarbeit gekürzt werden. Und die Angst vor der Schließung ganzer Freizis geht um.

Heide-Rose vom Senator für Jugend beeilte sich klarzustellen, daß dies tatsächlich nur ein Gerücht sei: „Fest steht nur, daß nach dem Personalentwicklungsplan das Amt für Soziale Dienste 1996 31 Stellen und 1997 weitere 35 Stellen erwirtschaften muß.“ In welchen Bereichen gekürzt wird, das stehe noch nicht fest. Für die Betroffenen in der Jugendarbeit war aber klar, daß wieder einmal sie geschröpft werden.

„Angesichts dieser drastischen Einsparungen stellt sich mir die Frage, ob offene Jugendarbeit überhaupt noch politisch gewollt ist“, brachte Stefan, Sozialarbeiter im Jugendfreizeitheim Wehrschloß, die zentrale Frage auf den Punkt. Die anwesenden Politikerinnen sprachen sich alle vor allem für die Wichtigkeit der präventiven Jugendarbeit aus. Barbara Wulff von der SPD erinnerte an die gesetzliche Verpflichtung zur Jugendhilfe, die unabhängig vom zur Verfügung stehenden Budget zu erfüllen sei. „Aber angesichts der angespannten Haushaltslage müssen alle vorhandenen Kräfte in der Jugendarbeit gebündelt und vernetzt werden, um effektiver arbeiten zu können.“ Silke Strietzel von der CDU forderte vor allem Einsparungen in der Verwaltung durch Vereinfachung der Arbeitsabläufe. Daß Einsparungen notwendig sind, bestritt auch Maria Spieker von den Grünen nicht, aber: „Hier werden Strukturen kaputtgespart.“

Was das konkret bedeuten kann, stellte ein türkisches Mädchen aus dem Freizi Tenever dar: „Unser Sozialarbeiter Ali stellt eine Brücke zwischen uns türkischen Jugendlichen und den Deutschen her. Wenn er weggehen muß, fehlt uns eine große Hilfe.“

Gegen das Bild der Jugendlichen als Bittsteller bei den PolitikerInnen wehrte sich Andrea Müller vom Lidice Haus: „Die Jugendarbeit führt eine gesellschaftliche Aufgabe aus und nimmt diese Verantwortung sehr ernst. Das gleiche sollten auch die Politikerinnen tun!“ Der Beschränkung der offenen Jugendarbeit auf den Aspekt der Kriminalitätsprävention widersprach eine weitere Teilnehmerin: „Sonst ergeht es uns so wie in Berlin, wo die Jugendprojekte erst nach einer Prüfung auf ihre Prävention sei genung Geld erhalten.“ Wobei zumindest im Findorffer Freizi eine interessante Beobachtung des örtlichen Polizeirevier-Leiters kursiert. der hat nämlich herausgefunden, daß sich die Straftaten von Jugendlichen just zu den Zeiten häufen, in denen das Freizi geschlossen ist.

Das von der AfB-Abgeordneten Karla Hense-Brosig eingeworfene Stichwort der „Privatisierung“ der offenen Jugendarbeit wurde von vielen SozialarbeiterInnen abgelehnt. Eine Mitarbeiterin vom Jugendfreizeitheim Warturmer Platz: „Damit entzieht sich der Staat doch nur der Verantwortung.“ Thorsten, ein Jugendlicher vom Jugendfreizeitheim Buntentor, verdeutlichte die Folgen: „Die Jugendlichen, die ja auch zukünftige Wähler sind, fühlen sich bei einer Privatisierung abgeschoben, vom Staat nicht ernst genommen.“

Nach zwei Stunden erregter Diskussion blieb bei vielen Teilnehmerinnen nur Frustration. Fred, seit zwanzig Jahren in der Jugendarbeit aktiv: „Es ging doch nur ums Geld, nicht um Konzepte, wie wir offene Jugendarbeit trotz Einsparungen leisten können, z.B. durch einen eigenen Haushalt. Die Haltung der Politikerinnen war enttäuschend. Die sollen doch was für uns tun, nicht nur Geld verwalten.“ Die Jugendlichen schauten lieber resig niert im Nebenraum Fußball: „Die Politiker machen ja doch, was sie wollen!“ Birgit Köhler

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