: „Radikales“ Ende einer Flucht
■ Drei angebliche MitarbeiterInnen der verbotenen Zeitschrift „radikal“ stellten sich der Justiz
Ein Jahr lang wurde nach ihnen gefahndet – gestern stellten sie sich in Bremen „freiwillig“ den zuständigen Haftrichtern. Die Bremerin Jutta Weißbach, der Oldenburger Ulli Faltin und der Kölner Frank Großkinsky verschwanden kurz nach halb zwölf – begleitet von ihren AnwältInnen – hinter den Türen des Bremer Amtsgerichts.
Den dreien wird vorgeworfen, an der Herstellung der verbotenen „Untergrundzeitschrift radikal“ beteiligt gewesen zu sein und damit einer „kriminellen Vereinigung“ anzugehören, die es sich nach Auffassung der Karlsruher Bundesanwaltschaft (BAW) zum Ziel gesetzt hat, für „terroristische Vereinigungen“ zu werben. Ein weiterer Bremer, der unter dem gleichen Vorwurf gesucht wird, zieht es hingegen vor, sich weiterhin der Vollstreckung des Haftbefehls zu entziehen.
Die beiden zuständigen Haftrichter waren offensichtlich von dem plötzlichen Auftauchen der drei Gesuchten völlig überrascht worden – eine viertel Stunde lang mußte der Bremer Anwalt Horst Wesemann an die Tür des Amtszimmers 240 klopfen, bis den Gesuchten kurz vor zwölf Uhr endlich Einlaß gewährt wurde.
Danach begann ein hektisches Treiben. Während in den Gerichtsfluren zwei Dutzend UnterstützerInnen lauthals die sofortige Aufhebung der Haftbefehle forderten, bemühten sich hinter verschlossenen Türen die Bremer Richter, Kontakt zur Karlsruher General-Bundesanwaltschaft (BAW) und dem zuständigen Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes aufzunehmen. Nur die drei angeblichen radikal-MitarbeiterInnen schwiegen: Sie werden jede Aussage verweigern.
Die verweigert auch BAW-Sprecher Rolf Hannich auf die Frage, ob und wo der bestehende Haftbefehl gegen die drei Beschuldigten vollstreckt wird. Seine einzige Auskunft: „Die Verhafteten haben jetzt einen Anspruch darauf, dem zuständigen Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes vorgeführt zu werden“. Ob dies in Karlsruhe oder Bremen geschehen wird, vermochte Hannich nicht zu sagen. Nach Informationen der taz ordnete der zuständige Bundesanwalt Hoffmann gestern nachmittag an, die Festgenommenen sofort nach Karlsruhe zu überstellen. Eine sofortige Aussetzung des Haftbefehls komme nicht infrage. Im Klartext: Die Beschuldigten landen auf unabsehbare Zeit im Knast.
Der Termin, zu dem sich die Gesuchten gestellt haben, war mit Bedacht gewählt: Genau vor einem Jahr, am 13. Juni 1995, hatte die BAW in acht Bundesländern, darunter auch in Bremen, über 50 Privatwohnungen, Büros und Läden auf den Kopf stellen lassen, auf der Suche nach angeblichen „Linksterroristen“. Vier Männer, denen ebenfalls vorgeworfen wird, an der Herstellung der verbotenen Linkspostille radikal beteiligt gewesen zu sein, wurden festgenommen und erst Anfang Dezember wieder aus der Untersuchungshaft entlassen.
Die drei seit gestern Festgenommenen aber trafen die polizeilichen Sonderkommandos nicht an – fortan entzogen sie sich ihrer Festnahme, indem sie untertauchten. Nun aber wollten sie nicht länger „aus ihren Lebenszusammenhängen herausgerissen“ werden. Jutta Weißbach, die vor ihrer Flucht im Bremer Frauenbuchladen Hagazussa arbeitete: „Wir gehen das Risiko einer vorübergehenden Haft ein, weil wir auf Sicht zu unseren FreundInnen und GenossInnen zurückkehren wollen“. Marco Carini
Siehe auch Bericht S.5.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen