: Allerseelen mit Patti
Zeig mir das Land, wo die Visionen blüh'n: Patti Smith kommt mit neuer Platte auf Tour. Es geht um Tote, Lebende, Wolken, Heilige, Väter, Mütter und Söhne. Rock 'n' Roll als Geistergespräch für die ganze Familie ■ Von Thomas Groß
Zwei Personen, die für mich bislang zweifelsfrei verschiedenen Lebenswelten angehört haben, sind Patti Smith und Luise Rinser. Jetzt trennen sie auf dem Podium nur noch fünf Stühle. Gleich daneben sitzt der Dalai Lama, der überirdisch mild in die Runde lächelt – gelegentlich auch zu Robert McNamara, dem Ex-Verteidigungsminister der USA, der, Sie erinnern sich, den Vietnamkrieg mit angezettelt hat. Und während der faltige McNamara, in Pension zum Elder Friedenslamm konvertiert, seine neue Rolle erprobt und Peace predigt, haut Patti Smith ihm nicht etwa Beate-Klarsfeld- mäßig eine runter, nein, sie horcht andächtig in sich hinein und rezitiert anschließend ein Poem: „I was dreaming in my dreaming...“, ganz großer Martin-Luther-King-goes- „Imagine“-Ton, gipfelnd in der wiederkehrenden Zeile „that the people have the power“, zurückgenommen am Ende durch ein wiederkehrendes „in my dream“.
Kein Traum, kein Regieeinfall auf dem Theater, sondern eine Szene während der Berliner „Friedensuniversität“ im vergangenen September. Patti Smith (49) hat den weiten Weg von New Jersey hierher gemacht, um an einer Art Workshop teilzunehmen, in dem Prominente, Politiker und andere Erleuchtete ihre spirituellen Energien zusammenzuführen gedenken – zum Wohle der Welt. Es ist ihr erster öffentlicher Auftritt in Europa seit ihrem Abschiedskonzert am 10.September 1979 in Florenz, und es ist nicht zu bestreiten, daß die Person auf dem Podium immer noch starke Ähnlichkeit mit der Patti Smith hat, die Robert Mapplethorpe für das berühmte Cover von „Horses“ fotografiert hat. Dasselbe kantige Modigliani- Gesicht, dieselbe expressive Magerkeit, bloß das weiße Hemd hat sie gegen Sackleinenes eingetauscht, und die teils grau gewordenen Strähnen ihrer Haare laufen in Zöpfchen aus. Es ist etwas ebenso Punk-Strenges wie Seventies-Liebes um sie, das es einem auf Dauer unmöglich macht, nicht wenigstens für einen Augenblick an Bettina Wegner zu denken. Ist so kleine Patti.
Später, beim Journalistengespräch in der Halle eines Berliner Hotels, ist noch schwerer zu fassen, daß diese zierliche Person mitverantwortlich gewesen sein soll für das große New Yorker Beben von 1975/76, das sich von einem Lower- East-Side-Schuppen namens CBGB's aus transatlantisch fortsetzte und noch in fernen Provinzen mit bloßem Körper zu fühlen war – Rock 'n' Rimbaud, weiblicher Punk-Machismo, Transzendenz ja, aber bitte nicht auf Pump: „Jesus died for somebody's sins but not mine...“ Erst als Smith von dem neuen Album zu erzählen beginnt, sickert eine Spur Begeisterung in ihre freundlich-zurückhaltenden Auskünfte. Tom Verlaine von Television sei wieder dabei, ebenso Gitarrist Lenny Kaye und Jay Dee Dougherty am Schlagzeug, beide Gründungsmitglieder der Ur- Patti-Smith-Band. „Electric Lady“ heißt das Studio, und „das ist ein gutes Zeichen, oder etwa nicht?“ Blick aus leicht abwesendem Auge. Smith schielt nicht unbeträchtlich, was zum Effekt hat, daß man nie genau weiß, ob sie einen an-, weg- oder durch einen hindurchschaut.
„Es war eine tolle Zeit“, blickt sie mit scheinbar wenig Zorn zurück, „aber damals war ich zwanzig, und Nacht und Tag gingen für mich ineinander über. Verantwortung hatte ich nur für mich selber zu übernehmen. Heute, wo ich Kinder habe, muß ich mir meine kreative Energie ganz anders einteilen, kann es nicht mehr einfach so passieren lassen. Aber etwas in dir arbeitet auch, wenn du Windeln wechselst, und in diesem Sinne habe ich meine Arbeit nie wirklich unterbrochen.“
Remember you well in a Chelsea Hotel
Le poète travaille – in der Legende des Surrealismus meint der Satz noch den Schlaf, in den der trunkene Bohemien fällt, um dort in aller Ruhe neue Bilder zu empfangen: vita contemplativa unter den Bedingungen selbstinduzierter Träume. Smith dagegen tauschte in den Jahren 79 bis 89 das Rockstardasein gegen das zurückgezogene, aber wenig geruhsame Leben einer Hausfrau in einem Suburb von Detroit. Zwei Kinder zog sie dort groß, Jackson (13) und Jesse (8), beide aus ihrer Ehe mit Fred „Sonic“ Smith, als Mitglied der Proto-Punkband MC5 selbst lebende Legende. Für Smith schrieb sie „Frederick“ (auf dem 79er „Abschieds“-Album „Wave“ enthalten), eine Liebeserklärung von Rockerin zu Rocker, und auch auf der am kommenden Montag in Deutschland erscheinenden, „Gone Again“ betitelten Comeback-LP ist das letzte Stück Fred Smith gewidmet: „Farewell Reel“ – wie der Titel schon sagt, eine Abschiedsnummer.
Fred „Sonic“ Smith ist am 4.November 1994 überraschend gestorben, nur einen Monat vor Patti Smiths Bruder, der einen Herzinfarkt erlitt. Tot waren zu diesem Zeitpunkt bereits ihr früherer Keyboarder Richard Sohl und Robert Mapplethorpe, mit dem Smith in frühen New Yorker Tagen ein Zimmer im berühmten Chelsea Hotel geteilt haben soll – kunstreligiöse Hungerleider damals beide, der Ruhm, von dem man sich auch was kaufen kann, kam erst Jahre später, als Mapplethorpe bereits an Aids erkrankt war. Noch auf dem Sterbebett habe er ihr ein warholeskes „Do this! Keep working!“ zugeflüstert, erzählt Smith – für sie eine Ermutigung, den Gedichtband „The Coral Sea“ zu beenden und dem Freund zu widmen.
Kein Wort dagegen über die Zeit mit Fred Smith, was die Szeneberichterstattung in und um New York nicht nur als Zeichen der Trauer gelesen hat. Das einzige Dokument aus den Detroiter Jahren ist „Dream of Life“ (1988), eine Art Versuch, als Paar den Peacenik-Traum von John und Yoko weiterzuträumen – mit dem Unterschied, daß Yoko Ono gerade nicht in der Küche stand, sondern ein finanzstarkes Artistenimperium leitete. Eine im letzten Jahr erschienene Mapplethorpe-Biographie von Patricia Morrisroe (die sich als indirekte Patti-Smith- Biographie lesen läßt) legt für Fans und andere Patti-Enttäuschte (wo warst du, als...?) nahe, Frederick „Sonic“ Smith sei in Wahrheit ein übler Unterdrücker gewesen, der seine Frau in einem Vorstadtalptraum gefangenhielt.
Danach zu fragen traue ich mich nicht, und Smith hat diese Version auch sonst nirgends bestätigt, aber all das mag dazu beigetragen haben, daß die Wiederkehr der „Frau, die dem zerlumpten Punk- Stil eine schamanistische Kraft hinzufügte“ (Village Voice), in den USA weniger als Comeback denn als Wiederauferstehung gefeiert wurde. Im letzten Herbst hatte sie einen triumphalen Poetry-in- Rock-Abend im Central Park, von ihr als „family night“ angekündigt, weil neben Schwester Kimberley an der Mandoline sämtliche Veteranen aus alten CBGB's-Tagen, sofern nicht ohnehin mit der Band, im Laufe des Abends die Bühne enterten. Für den Soundtrack zu „Dead Man Walking“ und den Sampler „Ain't Nothing But A She Thing“ steuerte sie je eine Coverversion bei. Lollapalooza, das Festival der MTV-Generation, wollte sie für einen Auftritt. Zuvor schon hatte Smith, parallel zu den Aufnahmen an „Gone Again“, zwei Probeshows in Toronto absolviert – mit neuem Material, in das sie, wie Trendscouts berichten, nur gelegentlich alte Nummern à la „Dancing Barefoot“ integrierte: „Some strange music draws me in, makes me come on, like some heroine...“
Selbsternannte Tochter der großen Bärin
1996 – kein schlechtes Jahr für Wiederauferstandene. Yoko Ono ist eben erst durch, CCR touren als „Creedence Clearwater Revisited“ durch die Lande (Mogelpackung), dito die Eagles; Bob Dylan, der allerdings nie weg war, ist auch wieder da. Sommertheater, demnächst auch in Ihrer Arena.
„Gone Again“ ist trotzdem kein schnödes Revival-Album geworden, sondern eine Art spiritual gathering. Rock 'n' Roll als Tischerücken, falls es so was geben kann. Neben Fred Smith, der (außer der Hymne an ihn) bei einigen Stücken als Co-Autor aus dem Jenseits vertreten ist, treten auf: Dylan, dessen „Wicked Messenger“ Smith sich pfingstlerisch zungenhaft einverleibt hat – „just like some lines in Rimbaud“; Kimberley aus Virginia mit schwesterlichen Mandolinenklängen; des weiteren Jeff Buckley, singender Sohn des Staralkoholikers Tim; der arme Werther River Phoenix und, irgendwie unvermeidlich, Kurt Cobain. „About A Boy“ heißt das Stück, das Patti Smith in Antwort auf Nirvanas „About A Girl“ in ihrer Lyrikwerkstatt zusammengezimmert hat, eine Acht-Minuten-Prosodie über eine Sohnesfigur, die sich aus dem Leben davongemacht hat – „to breathe an air / beyond his own / beyond the shelf / towards a dream“. Schade um den guten Jungen. „WHY?“ steht in allerdings zeitlos gewordenen Vietnam-Lettern über dem düsteren Geschehen geschrieben, und außerdem: „MOTHER“. Bloß solange die Musik spielt, geht das Licht nicht aus: The family that plays together, stays together.
„Confession is a narrative“, schreiben Simon Reynolds und Joy Press in „The Sex Revolts“, ihrem 1995er Standardwerk über „Gender, Rebellion and Rock 'n' Roll“, das erstmals auch Patti Smith als Pionierfigur eines den Männern abgetrotzten Terrains würdigt. Doch so wichtig sie für heutige Fem-Punk-Bands wie Hole, L7, Bikini Kill und andere gewesen sein mag: Genau das – Rock 'n' Roll als eine Kulturtechnik unter vielen anzuerkennen, ihn als sprachanaloge Struktur zu verstehen, die heftigen Konjunkturen ausgesetzt ist – will Patti Smith nicht. Weit und mondförmig ist der Bogen, den sie um alles Zeichenhafte schlägt – man soll schon fühlen, wie es fühlt. Der Akkord eine Pratze, das Wort ein Gewicht. Als selbsternannte Tochter der großen Bärin will sie den Rock 'n' Roll als Geistergespräch.
Erkauft ist dieser Rückzug aufs Testamentarische mit vagen Metaphern und priesterlichen Gesten. Smith-Songs handeln von „sky“ und „fame“, „sun“ und „clouds“, „callow mist“, „equatorial bliss“, von „grateful arms“, „grateful limbs“ und „grateful souls“; „hollow horns“ reimt sich auf „child born“, und „heaven's glory turned in your eyes“. Allerseelen mit Patti. Über den Wassern der Bilder schwebt ein gebetsmühlenartiger Großartigkeitssound, der zäh aus Vergangenem schöpft: Zeig mir das Land, wo die Visionen blüh'n.
„In den Fünfzigern, als ich ein Kind war“, hat sie in Berlin erzählt, „sollten wir uns in der Schule ein Land aussuchen, und ich nahm Tibet, weil das schön und spirituell klang. Eine schlechte Wahl, sagte der Lehrer, es gibt in den Nachrichten nichts über Tibet. Dann kam aber der Einmarsch von China. I was heartbroken, ich dachte, die Vertreibung der Mönche wäre meine Schuld. Als ich den Dalai Lama heute sah, mußte ich daran zurückdenken, wie ich damals für ihn gebetet habe.“
Von diesem Kinderglauben zehrt der Patti-Sound noch heute. Er klingt gut und voll, wenn alles gutgeht, wird er ihr endlich den fälligen Tophit bescheren („Because The Night“ kam damals nur bis Platz 13), all das ist ihr zu gönnen – aber die Rock 'n' Reflexion hat längst andere und politischere Wege genommen. Die Nachrichten sagen einiges über Tibet. Der Platz des Himmlischen Friedens ist eine Metapher geworden. Die großen Töne sind billig zu haben.
Fortsetzung
Fortsetzung
We are heartbroken und, sorry: Die Expression reitet auf toten Gäulen ins Ziel.
PS: „A saint, but with a cowboy mouth“ hat P.S. sich 1971 in einer Kooperation mit dem Bühnen- und Filmautor Sam Shepard genannt – Patti Smiths theatralische Sendung. Last Question, Mrs. Smith: Wie stehen Sie heute zu Ihrem berühmten Satz „Jesus died for somebody's sins but not mine“?
„Punk war zwar aggressiv“, sagte sie allen Ernstes, „aber das hat die Kunst in bestimmten Zeiten so an sich. Denken Sie nur an Picasso, seine ,Desmoiselles d'Avignon‘. Oder an Jackson Pollock, ein Solo von John Coltrane oder Jimi Hendrix, alles sehr aggressiv. Es ging dabei aber nicht wirklich darum, jemanden zu verletzen, auch nicht uns, schließlich hatten wir damals ja elektrische Gitarren und keine Waffen. Und wenn Jesus heute käme und zu mir sagte: ,Hey, ich bin für deine Sünden gestorben‘, dann wäre ich dankbar dafür.“
Sprach's und ließ die ungläubig verharrende Berichterstatterschar allein. Darf die das? Daß die das darf! Sag das mal einer den Sex Pistols! Man beschloß nach kurzem Disput und irgendwie notgedrungen, es einfach mal so stehenzulassen.
Patti Smith: „Gone again“
(Arista/BMG)
Tour:
23. 7. Köln
30. 7. Berlin
1. 8. Hamburg
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