: Unseriöse und nicht beweisbare Behauptungen
■ betr.: „Vom Horrorpaket zur Traumzeit“ (Bonn apart), taz vom 25. 5. 96
Ich finde kritische Kommentare allemal apart, allerdings kann ich eine verkürzende und entstellende Wiedergabe meiner Aussagen anläßlich des Gewerkschaftstages der SPD am 21.5. 96 in Bonn so nicht stehenlassen.
Richtig ist, daß ich darauf hingewiesen habe, Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände und Bundesregierung würden ihren Deregulierungs- und Sozialabbaumaßnahmen immer enorme Arbeitsplatzwirkungen unterstellen. So hat BDA-Präsident Klaus Murmann Anfang dieses Jahres bei der Ausweitung von Teilzeitarbeit 500.000 zusätzliche Arbeitsplätze prophezeit. Derselbe Klaus Murmann verspricht sich nun von der Verlängerung des Ladenschlußgesetzes weitere 500.000 Arbeitsplätze.
Ich bin dafür eingetreten, daß diesen unseriösen und durch nichts beweisbaren Behauptungen über Arbeitsplatzzuwachs als Folge von Deregulierung eine solide beschäftigungspolitische Rechnung durch alternative Politik gegenübergestellt wird. Ich weiß nicht, ob Markus Franz die Auffassung vertritt, daß die Massenarbeitslosigkeit unter keinen Umständen gebremst und wieder zurückgeführt werden kann. Dieser Meinung könnte ich mich keinesfalls anschließen.
Ich bin überzeugt, daß durch eine staatliche Politik einerseits und durch ein – natürlich nur durch Druck zustande gekommenes – anderes beschäftigungs- und wirtschaftspolitisches Verhalten der Arbeitgeber und Unternehmen sehr wohl die Arbeitslosigkeit ab- und zusätzliche Arbeitsplätze aufzubauen sind.
Die alternativen Politikvorschläge des Deutschen Gewerkschaftsbundes und zum Teil auch der SPD sind im Gegensatz zu den Luftschlössern von Bundesregierung und Arbeitgeberverbänden durchaus seriös und solide. Eine Politik, die in der Gesamtwirtschaft folgende Maßnahmen verwirklicht, könnte in der Tat zum Aufbau von Beschäftigung und somit zur Halbierung der Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 ebenso wie zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und Sozialkassen beitragen:
1. In der Gesamtwirtschaft wurden 1995 2,5 Milliarden Überstunden geleistet. Dies entspricht rechnerisch 1,6 Millionen zusätzlichen Arbeitsplätzen. Wenn man davon innerhalb von zwei Jahren zwei Drittel in Arbeitsplätze umwandeln könnte, bedeutet dies eine Million mehr Arbeitsplätze. Dies müßte selbst aus konservativer Sicht für öffentliche und private Arbeitgeber auch finanziell verkraftbar sein, weil dadurch die Bezahlung der Überstunden und der Überstundenzuschläge wegfiele. Gleichzeitig würden die Kosten für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gesenkt, da bei dem Wegfall beziehungsweise dem Freizeitausgleich für Überstunden sich die Bezahlung der Überstunden und der Zuschläge als Grundlage für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall nicht mehr stellt.
2. Durch gezielte und verabredete Investitionsmaßnahmen in neuen Bedarfs- und Beschäftigungsfeldern könnten über vier Jahre hinweg ebenfalls eine Million zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden, so zum Beispiel im Bereich Verkehr, Umwelt und Energie, der Telekommunikation, der humanen und sozialen Dienstleistungen, der Pflegeberufe und ähnliches mehr.
3. Wenn eine Politik der Arbeitszeitverkürzung in der Gesamtwirtschaft zumindest die 35-Stunden-Woche innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre verwirklichen würde, wären das nochmals – rein rechnerisch – 800.000, tatsächlich vielleicht 400.000 zusätzliche Arbeitsplätze, die natürlich auch mit geringerer Einkommenserhöhung in den verschiedenen Wirtschaftsbereichen Hand in Hand gehen würden. Zusätzliche Effekte aus der Ausweitung von Teilzeitarbeitsplätzen, die schwer zu beziffern sind, kämen noch hinzu.
4. Durch 100.000 Arbeitslose weniger werden die öffentlichen Haushalte und Sozialkassen um 4,5 Milliarden DM jährlich entlastet. Allein 500.000 zusätzliche Arbeitsplätze und weniger Arbeitslose würden über ein Jahr einen Entlastungseffekt von über 80 Milliarden Mark pro Jahr erbringen. In Verbindung mit dem Einstieg in eine ökologische Steuerreform wäre das ein solides Konzept zur kostenmäßigen Entlastung des Faktors Arbeit (zum Beispiel durch Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung) sowie zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und Sozialkassen.
Ich halte es in der Tat für wichtig, nicht nur gegen den Horrorkatalog des Deregulierungs- und Sparpakets zu protestieren, sondern politische Alternativen aufzuzeigen, die Arbeitslosen und Arbeitnehmern Perspektiven geben, die zeigen, daß mehr soziale Regulierung in der Lage ist, Beschäftigungsabbau und Wettbewerbsfähigkeit miteinander zu verknüpfen.
[...] Alles könnte in der Tat besser werden, mit Mehrheiten für eine andere Politik. Dafür gilt es zu argumentieren und zu mobilisieren. Klaus Lang, IG Metall,
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