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Touristenschwindsucht und BSE

Die Britische Zentrale für Fremdenverkehr verzichtet ab sofort auf die bildliche Darstellung von Kühen in ihren Reisekatalogen, damit die verschreckten Festlandeuropäer wieder kommen  ■ Von Walter Dietzen

Zu weiche Hotelbetten, eine zu geringe Anzahl von Tankstellen wie Raststätten an den Autobahnen und zu wenige Kühe im Landschaftsbild: das waren die Hauptmängel, die ausländische TouristInnen, vom Reiseunternehmen „Discover Britain“ befragt, am Urlaubsland Großbritannien auszusetzen hatten. „Wir haben manche seltsame Beschwerde, aber ich habe mir vorher nie darüber Gedanken gemacht, daß auf dem Land die gute alte Kuh fehlt“, rätselte Andrew Grieve von der Firma „Discover Britain“ über das Touristenansinnen. Das wurde von der britischen Presseagentur Reuters zutage gefördert und ist in der FAZ vom 5. Mai 1994 nachzulesen.

Lang, lang scheint's her, im Jahre zwo vor Ausbruch des „mad cow“- Zeitalters. „BSE-Angst verschreckt die Touristen“, titelte die Westdeutsche Allgemeine Zeitung jüngst in ihrem Reisejournal. Die Furcht vor dem Rinderwahnsinn habe sowohl Europäer als auch Amerikaner abgehalten, der Weltmetropole London einen Besuch abzustatten. Und auch Restbritannien, so kann man getrost hochrechnen, leidet augenblicklich unter einem Mangel an Touristen.

Daß Londons Gastrotempel immer weniger ausländische (Beef)eater begrüßen können, ist trotz aller Beruhigungspillen („Britisches Rindfleisch ist sicher!“) verständlich. Daß aber die außerinsularen Gäste jetzt auch die einst so beliebten West-End-Theater verschmähen, das finden die Betroffenen schon ein starkes Stück. Sieben Theater mußten wegen mangelnder Kartennachfrage bereits die Vorhänge runterlassen. Tendenz steigend. Höhnte The Stage, das Magazin der britischen Bühnenbranche, in seinem Editorial: „Wundergläubige Europäer und Amerikaner glauben nun ernsthaft, sie könnten sich auf ihrem Theatersitz mit BSE anstecken.“

Der Verbraucher, das ganzheitliche Wesen: Ist ihm erst mal der Appetit auf sonntägliches Rinderfilet made in Britain verdorben, kehrt er auch als Urlauber der „Seucheninsel“ freiwillig den Rücken. Der Zusammenhang von Rinderwahnsinn und Tourismusschwindsucht ist nicht zu leugnen. Im Sog der animalischen „corpi delicti“ wird die britische Tourismusindustrie gleich mit geschlachtet. Das Tourismusjahr 1996, darin sind sich die Experten schon heute einig, wird ein ziemlich mageres Jahr werden.

Was nun mit den Kühen und den Katalogen? Rein mit Kühen oder raus mit den Kühen? Heile, heile Roastbeef-Welt, oder muß die Kuh vom Eis (von der Weide)? Nolens volens mußten sich die notleidenden britischen Fremdenverkehrswerber fragen, mit welcher Strategie sie angesichts der „verrückten Kühe“ und des feindlichen Medien-Ballyhoos die Touristen ins Königreich locken könnten. Zu diesem Behuf gab die Britische Zentrale für Fremdenverkehr in London einem Marktforschungsunternehmen eine Expertise in Auftrag. Das eindringliche Fazit der Studie: „Ban the cow!“ „Bei der bildlichen Darstellung“, so die Botschaft, „sollte unbedingt auf jedwede Kuh verzichtet werden.“ Andernfalls würden potentielle Kunden unterschwellig vom „Rinderwahnsinn“-Syndrom erfaßt und negativ in ihrer Urlaubsentscheidung beeinflußt werden. Die britischen Tourismusstrategen reagierten mit Einsicht und wollen zukünftig in ihrem gesamten Werbematerial „bis auf weiteres ohne Kühe auskommmen“.

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