: Maßvolle Rügen für Theo Waigel
Der Bundestag debattierte über die umstrittenen Äußerungen, die der Bundesfinanzminister über Tschechien abgegeben hatte. Der Gescholtene zeigte keine Spur des Bedauerns ■ Aus Bonn Markus Franz
Man kann eine Rede zu den Äußerungen von Bundesfinanzminister Theo Waigel auf dem Sudetendeutschen Tag so anfangen wie der FDP-Abgeordnete Ulrich Irmer: „Erstens: Bei der Vertreibung der Sudetendeutschen handelt es sich um schlimmes Unrecht, um eine ethnische Säuberung.“ Oder wie der SPD-Abgeordnete Markus Meckel: „Ich danke den beiden tschechischen Parteien, daß sie das Thema aus dem Wahlkampf herausgehalten haben.“ Auch Irmer zeigte im späteren Verlauf seiner Rede in der gestrigen aktuellen Stunde im Bundestag, daß er um ein gutes deutsch- tschechisches Verhältnis bemüht ist und die Waigel-Äußerungen für problematisch hält. Aber der Ton macht eben die Musik.
Gerade in diesem Punkt hat Theo Waigel nach Ansicht von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der PDS versagt. Beim Pfingsttreffen der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Nürnberg hatte Waigel ebenso wie Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber verlangt, Prag solle sich zu den „Verbrechen bekennen“, die bei den Vertreibungen nach dem Zweiten Weltkrieg begangen worden seien.
Von Einsicht in die verheerende Wirkung dieser Äußerungen, die Tschechiens Ministerpräsident Václav Klaus als „billigen Populismus“ bezeichnet hatte, war bei den Unionsabgeordneten auch gestern keine Spur. Ausgerechnet die, die doch eigentlich auf dem Sünderbänkchen saßen, konnten sich polemische Äußerungen nicht verkneifen. Abgeordnete sprachen von einem „scheinheiligen Vorwand“ für die aktuelle Stunde und „Verleumdungspolitik“. Die Reden der Oppositionspolitiker waren dagegen von dem Bemühen um eine einheitliche Linie in der sensiblen deutsch-tschechischen Beziehung geprägt.
Maßgeblich für die von der SPD beantragte aktuelle Stunde, war die Rede der Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer (Bündnis 90/Die Grünen). Unaufgeregt versuchte sie auf Theo Waigel einzuwirken. Statt zu polemisieren, zeigte sie Verantwortungsgefühl für die Wirkung, die eine kontroverse Debatte beim Nachbarland auslösen könnte. „Soviel dramatischer als das Jahr voher war ihre Rede nicht“, begann Antje Vollmer. „In manchen Passagen sogar ganz genauso.“ Aber genau das sei für dieses Jahr „vielleicht etwas“ zu wenig gewesen. Waigel habe ein „bißchen“ zu laut gefordert, wovon er wissen müsse, daß es schon längst von tschechischer Seite gesagt worden sei. „Man darf nicht pathetisch den Eindruck erwecken, die Dinge ständen anders, als es tatsächlich der Fall ist.“ Die sudetische Landsmannschaft habe inzwischen demokratische Reife gezeigt, sagte Antje Vollmer. „Sie hat sich schneller bewegt als sie, Herr Waigel, an diesem Tag.“
Auch Günter Verheugen zeigte das Bemühen, um eine zukünftige gemeinsame Position zu ringen, statt die Reden von Waigel und Stoiber parteipolitisch zu nutzen. Es gehe ihm um ein „Signal, aus dem unser gemeinsamer Wille zur Versöhnung unzweifelhaft hervorgeht.“ Die Beziehungen zu der Tschechischen Republik müßten auf eine ähnlich gute Grundlage gestellt werden wie etwa mit Frankreich.
Viele Redner gingen auf eine Passage in Waigels Rede am Sudetendeutschen Tag ein, in der er Konsequenzen für den angestrebten EU-Beitritt Tschechiens angedeutet hatte. So hatte Waigel die tschechische Regierung dazu aufgefordert, die Vertreibung nicht länger als „Abschub“ zu beschönigen und sich durch ein Bekenntnis zu diesem Verbrechen dem europäischen Rechtsstandard „ein weiteres Stück anzunähern“. Gert Weisskirchen (SPD) wollte zwar nicht von Erpressung reden, fragte aber: „Wie muß dieser Zusammenhang mit der EU bei den Tschechen wohl ankommen?“ Selbst Außenminister Klaus Kinkel, der ansonsten Waigel ausdrücklich in Schutz nahm, gestattete sich einen Seitenhieb auf den CSU-Vorsitzenden, indem er anmerkte: Deutschland müsse „ohne Bedingungen“ den Wunsch der Tschechischen Regierung zum Beitritt zur Europäischen Union unterstützen.
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