: Kein Mitleid für Carl
■ Bei den US-Olympia-Trials verabschieden sich wie üblich haufenweise große Namen. Erste Opfer: Lewis, Burrell, Young
Atlanta (dpa) – Carl Lewis humpelte nach seinem letzten Platz im 100-Meter-Finale aus dem Olympiastadion von Atlanta, zwang sich für die Photographen zu einem letzten Lächeln und warf dann seine Tasche frustriert ins Auto. Geplagt von Krämpfen, hatte er in schwachen 10,21 Sekunden wie schon 1992 den Sprung ins US-Olympia-Team verpaßt. Während Dennis Mitchell den ersten Höhepunkt der Olympia-Ausscheidung mit der Weltjahresbestzeit von 9,92 Sekunden vor Mike Marsh (10,00) und Jon Drummond (10,01) gewann, trösteten sich Lewis und der ebenfalls nicht qualifizierte Weltrekordler Leroy Burrell (Sechster in 10,07 Sekunden). „Mein Körper hat mich hängenlassen, aber ich werde mich deshalb nicht umbringen. Beim ersten Schritt wußte ich schon, daß ich keine Chance habe“, sagte Lewis. Seit dem Halbfinale hatte der 34jährige mit Krämpfen zu kämpfen. Das Alter? Die hohe Luftfeuchtigkeit (65%)? Zuwenig Flüssigkeit? Die Diskussion war müßig, das Rennen für den achtmaligen Olympiasieger von vornherein verloren. „Es wäre schade, wenn ich den Leuten leid täte“, gab sich Lewis anschließend ungewohnt jammerlos, „sie sollen feiern, weil ich über 200 Meter und im Weitsprung noch eine Chance habe. Ich will ans Positive denken.“ Waren die 9,94 Sekunden von Carl Lewis beim Grand Prix vor einem Monat in Atlanta nur eine Eintagsfliege? Oder ein letztes Hurra? Oder beides? „Ich bin frustriert, weil ich weiß, daß ich in diesem Jahr noch tolle 100-Meter- Zeiten laufen werde, aber das Gute ist, daß ich mich jetzt auf den Weitsprung konzentrieren kann“, stellte Lewis fest, der als Sechster bei der Olympia-Ausscheidung für Barcelona ebenfalls gepatzt hatte. „Ich bin noch nicht erledigt.“
Das war dafür der Sieger. Auch Dennis Mitchell wurde schon nach 50 Metern nicht von Krämpfen verschont. „Ich sagte mir, ich werde den Krämpfen davonlaufen“, meinte Mitchell, der allerdings auf fremde Hilfe angewiesen war, „und ich habe gebetet. Der Herr im Himmel und ich haben es gemeinsam geschafft“.
Auch das Rennen der Frauen zeigte einmal mehr, daß die für Olympia verlegte Kunststoffbahn in Atlanta eine sehr schnelle ist. Gwen Torrence stellte mit 10,82 Sekunden die Jahresweltbestzeit ein, während sich überraschend die zuletzt schwächelnde Olympiasiegerin Gail Devers (10,91) als Zweite qualifizierte.
Ihre erste Niederlage im Siebenkampf seit den Olympischen Spielen 1984 mußte Jackie Joyner- Kersee hinnehmen. Auch sie hatte gesundheitliche Probleme. Mit verstauchtem Knöchel, Erkältung und Asthmaproblemen schaffte die Weltrekordlerin zwar für sie nur mäßige 6.403 Punkte, aber es reichte hinter Überraschungssiegerin Kelly Blair (6.406) zur Qualifikation für ihre vierten Olympischen Spiele. Trotzdem betrachtete sie ihre ungewohnte Niederlage als Motivation für Olympia. Beim Hochsprung hatte sie sich den Knöchel verstaucht, beim Speerwerfen total versagt, über 800 Meter wegen ihrer Erkältung und Asthmaproblemen beinahe aufgegeben, aber nach dem Ende des Wettkampfes mußte sie dann über sich selbst lachen: „Ich verliere ungern, aber das war wohl der nötige Ansporn. Ich habe keine Entschuldigung. Ich bin total auseinandergefallen. Das wird bei Olympia nicht passieren.“
Eine Katastrophe war der Auftritt des 400-Meter-Hürden- Weltrekordlers Kevin Young. Trainingsfaul, übergewichtig und seit zwei Jahren ohne Coach, schied der Weltrekordler bei den gleichzeitig als US-Meisterschaft deklarierten Trials als Fünfter im Halbfinale mit 49,19 Sekunden sang- und klanglos aus.
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