Grüße aus Nottingham
: Zu tief im Arsch

■ Maid Marian gewinnt den Weltkrieg, und Edgar Davids flucht mehr denn je

Samstag, 12 Uhr: Im Radio- Sender Signal Cheshire wurde aufgeregt der Sprengstoff abgehandelt, der soeben Teile von Manchester zerstört hatte. Direkt danach sangen die Smiths: „If it's not love than it's the bomb, the bomb, the bomb, that will bring us together.“ Dem Moderator fiel nichts auf.

Bis unmittelbar vor dem Kick-off waren die Radiowellen der Insel tagelang blockiert von Weissagungen zum großen Spiel. Ein Beispiel für alle (BBC 1): „Wie wird das Spiel ausgehen, Cindy?“

„Die Engländer werden die Schotten mächtig vermöbeln.“

„Warum werden die Schotten verlieren, Cindy?“

„Na, warum wohl: Weil sie Schotten sind!“

Tagelang! Und seit Samstag abend ist alles noch viel schlimmer geworden.

Was soll man vom Fluchen halten? Die Diskussion darüber wird soeben in England geführt. Es geht um „swearing“ im allgemeinen und insbesondere jenes im Nachmittagsprogramm. Die Tories sind dagegen – und Guus Hiddink offenbar auch. Der des Fluchens überführte niederländische Mittelfeldspieler Edgar Davids hat sich jedenfalls aus St. Albans verabschieden müssen, wo die Holländer residieren. Davids hatte seinen Trainer in der Mixed Zone zu Birmingham verbal attackiert. „Der Coach hört zuviel auf andere Spieler“, hat zum Beispiel der diskrete Independent gehört. Das ist die Version für's Nachmittagsprogramm. Aber ist das schon ein Fluch? The Guardian meint, es müsse heißen: Der Trainer sei „up the backside“ einiger Spieler. Ein Ohrenzeuge aus Konstanz gibt Davids' letzte Worte noch etwas anders wieder: „Der Coach hat seinen Kopf zu tief im Arsch einiger Spieler.“ Andersherum: Es geht um Hiddinks angebliche Benachteiligung einiger Spieler, zu denen auch Davids gehörte, nachdem er gegen die Schweiz plötzlich auf der Bank begonnen hatte.

Fluchen, das ist medizinisch bewiesen, ist auch ein therapeutisches Mittel. Es läßt Dampf ab. Das ist in jedem Team so. Insbesondere bei den Holländern, die soviel richtig gute Spieler haben. Hiddink hat seine Taktik modifiziert, und Davids, der Neuzugang von Real Madrid, war draußen. Es war der negative Höhepunkt einiger schlechter Wochen, in denen der begabte Spieler zunächst in Ajax' Champions-League-Finale einen Elfer verschossen hatte und danach gegen die Schotten nicht recht ins Spiel kam. „Das ist einmal passiert“, hatte er danach in Birmingham gesagt, „aber es darf nie wieder passieren.“

Wird es nicht. Zwar ging es bereits gegen Mitternacht, als Davids den Aufenthaltsort des Trainerhaupts lokalisierte, aber das rettet ihn nicht. Wer mitmacht und also die rigiden Regeln des autoritären Systems akzeptiert, und dann zu Journalisten so redet, weiß, was auf ihn zukommt.

Den Chef pißt man nicht ungestraft an! Und wenn, dann entschuldigt man sich. Auch das tat Davids nicht. Das Ergebnis des Ganzen ist freilich: In St. Albans werden weitere unschöne Worte fallen, weil die Niederländer statt erfolgsfördernder Ruhe und einem schönen Team-Image nun als so heterogen rezipiert werden, wie sie im Eröffnungsspiel – mit Davids – teilweise gespielt haben. Und was wird Edgar Davids zu Hause tun, wenn er, zur Ruhe gekommen, sich vor dem Fernseher wiederfindet? Fluchen. Morgens, mittags und abends.

In einem Fish & Chips-Shop in Nottingham.

„Fish & Chips bitte. Und auf die Chips Curry.“

Chips-Shop-Maid Marian (etwa 45): „Sind Sie Türke?“

„Nein, Deutscher.“

„Was machen Sie dann hier?“

„Ich habe Türkei gegen Portugal gesehen.“

Ein fragender Blick. – „Portugal hat 1:0 gewonnen.“

Kurze Pause. Curry kommt auf die Chips. „England wird morgen auch gewinnen.“

„Hm. Hm. Tatsächlich?“

„Natürlich. England gewinnt immer. England hat auch den Weltkrieg gewonnen.“

An dieser Stelle wäre es höflich gewesen, zu nicken und anerkennend zu sagen: „Aaah, richtig, haben sie! Alle beide sogar, haben sie nicht?“

Aber man kann es sich natürlich auch sparen. pu