piwik no script img

Kopfschmerzen Von Mathias Bröckers

Kopfschmerztabletten verursachen mehr Kopfschmerzen als sie beseitigen. Übermäßiger Konsum von Aspirin oder Paracetamol verursacht in Europas Volkswirtschaften einen Milliardenschaden und beeinträchtigt die Gesundheit von Millionen von Menschen. Mit dieser Anklage hat sich die „European Headache Federation“ (EHF), eine Vereinigung von Ärzten und Kopfschmerzforschern, an die Europäische Union gewandt mit der Bitte um 20.000 Dollar. Diesen Betrag würde es kosten, eine Pilotstudie über den Zusammenhang von hohem Kopfschmerztablettenverbrauch und chronischem Kopfschmerz durchzuführen. Doch die Wissenschaftler fanden kein Pharmaunternehmen, das bereit war, die Studie zu fördern (New Scientist, 8. Juni 1996). Nach dem, was die Kopfschmerz- und Migräneexperten auf ihrer jüngsten Tagung verlautbarten, scheint die Knickerigkeit der Pillendreher verständlich: Die Kosten für Behandlung von Kopfschmerz und Arbeitsausfälle in der EU betragen nach Schätzungen der IHF jährlich über 75 Milliarden Mark; ein Drittel davon wird durch chronische Kopfschmerzen verursacht, und diese wiederum können hauptsächlich auf täglichen Schmerztablettenkonsum zurückgeführt werden. „Es gibt eine Menge Menschen mit täglichen Kopfschmerzen, die täglich Schmerzmittel nehmen. Und wenn sie den Schmerzmittelkonsum stoppen, verschwindet auch ihr Kopfschmerz“, so Timothy Steiner von der EHF. Was die wissenschaftliche Untermauerung dieser These durch eine Studie für das Milliardengeschäft mit verschreibungsfreien Schmerzpillen bedeutet würde, liegt auf der Hand. Die Kopfschmerzen, die schon ein solches Ansinnen bei Pharmakonzernen auslösen muß, sind echt.

Es wäre nicht das erste Mal, daß ein Medikament die Krankheit, die es zu beseitigen vorgibt, auslöst und verschlimmert. Berüchtigtes Beispiel ist das vor mehr als hundert Jahren von den Bayer-Werken entwickelte Heroin, das als Heilmittel für die Morphiumsucht angepriesen wurde. Seinen heroischen Markennamen verdankte der Stoff einer neuen Marktnische: den massenhaft als Morphinisten aus den Lazaretten des Frankreichfeldzugs heimgekehrten Soldaten, die wieder zu Helden aufgepeppt werden sollten; dank internationaler Werbung entwickelte sich Heroin (neben Aspirin) zum weltweiten Exportrenner. Die schon bald auftauchenden Studien, daß hier der Beelzebub mit einem Teufel ausgetrieben wurde und Heroin ein noch höheres Suchtpotential als Morphium hat, wurden durch aufwendige Gegengutachten gekontert. Bis der frei verkaufte Stoff verschreibungspflichtig und schließlich international geächtet wurde, gingen Jahrzehnte ins Land.

Was die geplante Studie über die ungleich harmloseren Mittel wie Aspirin angeht, wird es wohl ebenfalls Jahrzehnte dauern, bis sie im Falle einer Bestätigung umgesetzt würde. Daß der von den „harmlosen“ Schmerzkillern aufgrund ihres Massenverbrauchs verursachte Schaden sehr viel größer ist als der von „harten“ Drogen verursachte, wird daran wenig ändern. Den alten Apothekenwitz – „Diese Kopfschmerztabletten möchte ich umtauschen, davon kriegt man ja gar keine Kopfschmerzen“ – können wir bis dahin ad acta legen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen