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Bis der Gegner vernichtet ist

■ In Burundi, Zaire und Ruanda eskaliert der Hutu-Tutsi-Konflikt

Berlin (taz) – Es war ein Tag wie jeder andere in Burundi. Sechs Lastwagen der Armee fuhren in ein Hügelgebiet nördlich des Ortes Kibimba. Die Wagen hielten an, 175 Soldaten stiegen aus und eröffneten das Feuer auf die BewohnerInnen der Gegend. Fünf Stunden später waren 71 Menschen tot. Eine Frau, die sich mit ihren Kindern hinter einem Kaffeebusch versteckte, berichtete später, wie Soldaten ihre Opfer jagten und Leichen in den Fluß warfen.

Die Attacke vom vergangenen Donnerstag, die ausländische Hilfsarbeiter jetzt publik machten, war angeblich die Vergeltung für einen Rebellenangriff vom Vortag im selben Gebiet, bei dem vier Menschen starben. Beide Seiten im Konflikt zwischen der von der Tutsi-Minderheit dominierten Armee und den Rebellen der Hutu- Mehrheit in Burundi, der seit 1993 weit über 100.000 Opfer gefordert hat, verüben Massaker an der jeweils „anderen“ Zivilbevölkerung.

Eine Lösung ist nicht abzusehen, wofür viele Beobachter die Tutsi-Seite verantwortlich machen. Burundis Tutsi-Premierminister lehnt Gespräche mit den Hutu-Rebellen kategorisch ab (siehe Interview). Und als Grund für den vergangene Woche vollzogenen Totalabzug des Internationalen Roten Kreuzes (IKRK) aus Burundi nennt IKRK-Sprecher Roland Var gegenüber der taz: „Wir fühlen uns in Bujumbura nicht sicher. Ziehen Sie daraus Ihre Schlüsse.“ Die Hauptstadt Bujumbura ist fest in den Händen der burundischen Armee.

Anfang Juni waren im Nordwesten Burundis drei Schweizer IKRK-Mitarbeiter ermordet worden. Die Behauptung der Regierung, für die Morde seien Hutu- Rebellen verantwortlich, überzeugt das IKRK nicht: Die einzigen vorgelegten Beweise, so Roland Var, seien „Pro-Hutu-Kreidemarkierungen auf der Straße, wo der Anschlag geschah“. Nach den Morden zog das IKRK seine Mitarbeiter im ganzen Land in Bujumbura zusammen und beriet über das weitere Vorgehen. Als dann anonyme telefonische Todesdrohungen gegen die IKRK-Delegierten erfolgten, entschloß sich das IKRK, Burundi ganz zu verlassen.

Aus Tutsi-Sicht rechtfertigt der regionale Kontext die unversöhnliche Haltung in Burundi. Schließlich waren die Tutsi im benachbarten Ruanda vor zwei Jahren Opfer eines Völkermordes. Burundis Hutu-Rebellen, die von Zaire aus operieren, sind nach Überzeugung der Tutsi verbündet mit den nach Zaire geflohenen ruandischen Völkermordmilizen. Sie sollen von zairischen Soldaten Waffen gekauft haben, die zuvor den ruandischen Hutu-Milizen abgenommen wurden. Und im Osten Zaires vertreiben Hutu-Gruppen zur Zeit die dort lebenden Tutsi. 250.000 Menschen haben dabei nach Angaben der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen seit November 1995 ihre Heimat verloren, einige tausend flohen nach Ruanda und Uganda.

Aber auch auf Tutsi-Seite ist eine wachsende Internationalisierung zu verzeichnen. Mit den Tutsi-Milizen in Burundi, die unter stillschweigender Duldung der Armee Hutu-Zivilisten töten, kämpfen laut amnesty international Deserteure aus der heutigen von Tutsi dominierten ruandischen Armee. Ruandas Vizepräsident Paul Kagamé sagte im April, es handele sich dabei um Soldaten, die Übergriffe auf Zivilisten begangen hätten und ihrer Bestrafung durch Flucht entgehen wollten.

In Ruanda kamen nach UNO- Angaben bei gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Tutsi und Hutu im April 175 Menschen ums Leben, im Mai 162. Im Mai habe die Regierung 4.800 Menschen in die bereits überfüllten Gefängnisse geworfen – diese enthielten damit jetzt 74.000 Häftlinge, fast alles Hutu. Im Gegenzug verübten aus Zaire eingedrungene ruandische Hutu-Milizen Mordanschläge auf überlebende Zeugen des von ihnen begangenen Völkermordes.

Die neue ruandische Oppositionspartei „Widerstandskräfte für die Demokratie“ (FRD), die der von der RPF enttäuschte ehemalige Premierminister Faustin Twagiramungu vor wenigen Monaten gründete, berichtet von einer rapiden Zunahme bewaffneter Zwischenfälle im Südwesten Ruandas, die mit der derzeit laufenden Volkszählung zu tun hätten. Die Zählung soll dazu dienen, neue Personalausweise auszustellen, die zum erstenmal in der ruandischen Geschichte keinen ethnischen Vermerk tragen sollen. Der FRD zufolge machen die Behörden die Eintragung ins Melderegister jedoch vom Verhalten der Betroffenen während des Völkermordes abhängig. Dominic Johnson

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