: Linke weiterhin voll im Visier
■ Verfassungsschutzbericht: Linksextreme gefährlicher
Überwiegend deutsch, zwischen 18 und 28 Jahren alt, Schüler, Auszubildende und Studenten, die sich durch Gelegenheitsjobs oder Sozialleistungen über Wasser halten – so sehen Verfassungsschützer den typischen Berliner Autonomen.
Jene Individuen, deren Zahl 1995 auf rund 1.200 geschätzt wird und damit seit 1992 gleich blieb, stehen für das Amt nach wie vor ganz oben auf der Beobachtungsliste. Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) stufte denn auch die linksextreme Szene bei der gestrigen Präsentation des Verfassungsschutzberichts 1995 als weitaus gefährlicher als jene der rechten Seite ein. Von 1994 bis 1995 sei zwar die Zahl der Gewalttaten von 94 auf 74 gesunken, aber bis Ende Mai diesen Jahres habe man mit 102 Fällen einen „deutlichen Anstieg“ zu verzeichnen. Eine besondere Rolle sollen dabei die Gruppe Klasse gegen Klasse (KgK) und das K.O.M.I.T.E.E. spielen.
1994 hatte Klasse gegen Klasse laut Verfassungsschutz 33 vollendete und drei versuchte Brandanschläge sowie fünf Sprengstoffanschläge verübt. Im Jahr darauf folgten sieben Brandanschläge. Keinen Glauben schenkt das Amt der angekündigten Selbstauflösung der Gruppe K.O.M.I.T.E.E. Die Gruppe flog auf, als ihr Anschlag auf ein Abschiebegefängnis in Köpenick im April 1995 mißlang. „Weitere terroristische Aktionen“ aus dem „eng verzahnten Personenkreis“ der Gruppe seien wahrscheinlich, wenn auch nicht mehr unter dem selben Namen.
Fast schon einem Ritual glich Schönbohms Attacke gegen die PDS. Er läßt vier Gruppen (Kommunistische Plattform, Bund westdeutscher Kommunisten sowie die Arbeitsgemeinschaften Autonome und Junge Genossen in und bei der PDS) beobachten. Es hänge wesentlich vom Verhalten der Partei ab, so der CDU-Innensenator, „ob das Beobachtungsspektrum erweitert wird oder nicht“. Wenn sich die PDS nicht eindeutig zum Gewaltmonopol des Staates bekenne, müsse überlegt werden, ob die PDS nicht insgesamt überwacht werde.
Auf der rechten Seite haben Parteiverbote und staatliche Maßnahmen nach Erkenntnissen des Landesamtes Wirkung gezeigt. Die Zahl der Gewalttaten nahm 1995 um zwei auf 23 ab. Während die Straftaten ingesamt um 45 Prozent zurückgingen, stiegen Delikte mit antisemitischem Hintergrund von 86 auf 110 im vergangenen Jahr an. Zunehmend versuchten die Neonazis, sich in autonomen Kameradschaften zu organisieren, seien mit modernsten Kommunikationsmitteln untereinander vernetzt. Während die Parteien einen Mitgliederschwund verzeichnen – allein bei den „Republikanern“ fiel die Zahl um 200 auf 800 – wächst die militante Neonazi-Szene: Von 850 in 1994 auf 890 im vergangenen Jahr.
Im Bereich Ausländerextremismus glauben die Verfassungsschützer ebenfalls einen Anstieg bemerkt zu haben. Deren Zahl stieg von 3.640 in 1994 auf 5.395. Davon seien 65 Prozent islamistischen Gruppen zuzurechnen, gefolgt von Linksextremisten (24 Prozent) und Rechtsextremisten (11 Prozent). Trotz des Verbots habe die kurdische PKK ihr Aktionsfeld weiter ausgebaut, so Schönbohm.
Zuguterletzt hatte Verfassungsschutzpräsident Eduard Vermander noch einen Ratschlag für Rußlandbesucher: Die dortigen Geheimdienste bedienten sich wieder der alten Methoden. Vor allem vor „kompromittierenden Situationen“ solle man sich hüten. Überhaupt sei Berlin mit rund 1.000 Geheimdienstlern die Stadt der Agenten. Mehr und mehr gewinne die Wissenschafts- und Wirtschaftsspionage an Gewicht. Severin Weiland
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