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Geschickter Personalpoker im Kreml

■ Boris Jelzin feuert seinen Verteidigungsminister und hievt den Drittplazierten der russischen Präsidentschaftswahl auf den Chefsessel des Sicherheitsrates. Ohne Lebed geht in der Stichwahl nichts

Berlin (taz) – Viel Zeit, um sich auf die neuen Gegebenheiten nach dem ersten Wahlgang von Sonntag einzustellen, brauchte Boris Jelzin offenbar nicht. Kaum war der russische Präsident mit Exgeneral Alexander Lebed zum Zweck einer Regierungsbeteiligung auf Tuchfühlung gegangen, rollte im Kreml auch schon der erste Kopf: Jelzin feuerte Verteidigungsminister Pawel Gratschow. Überraschend kommt der Fall des Hardliners und Chefs der „Kriegspartei“ im Kreml nicht. Gratschows Stuhl wackelt schon länger.

Bereits vor einem Monat hatte die russische Tageszeitung Nezavisimaja Gazeta berichtet, daß Boris Jelzin das Entlassungsschreiben für Gratschow bereits in der Schublade liegen habe. Zwar dementierte der Präsidentensprecher diese Berichte und ließ verlauten, ihm sei von einem derartigen Dekret nichts bekannt. Und doch wurde immer klarer, daß Jelzin nur auf einen geeigneten Moment wartete, um sich des unbeliebten Ministers zu entledigen.

Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Das Desaster in Tschetschenien, für das Gratschow maßgeblich mitverantwortlich zeichnet, eine verschleppte Armeereform und nicht zuletzt Korruptionsvorwürfe, die in der letzten Zeit immer lauter wurden, haben Gratschow in den Augen vieler RussInnen längst diskreditiert. Spätestens mit dem Ergebnis des ersten Wahlgangs, das Jelzin zu Konzessionen an den Drittplazierten Alexander Lebed und dessen Wählerschaft zwingt, war klar, daß Gratschows Tage gezählt sind.

Mit dem Bauernopfer Gratschow erreicht Jelzin zweierlei: Bei den Wählern kann er mit dieser Personalentscheidung vor der zweiten Wahlrunde punkten. Und er stellt Lebed, einen Erzfeind Gratschows, zufrieden und ködert ihn überdies mit dem Posten des Chefs des nationalen Sicherheitsrates und Präsidentenberaters für nationale Sicherheit.

Die Entscheidung, den Exgeneral mit diesem Amt zu betrauen, folgt einer gewissen Logik: Einerseits hatte sich Lebed im Wahlkampf mit der Fordeung nach einer umfassenden Armeereform, dem Kampf gegen Kriminalität und Plänen zum Schutz der inneren Sicherheit profiliert. Andererseits hatte er, unmittelbar nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse, klargestellt, daß sein Preis hoch sein würde. Jelzin, wohlwissend, daß ohne Rückendeckung des Exgenerals der zweite Wahlgang nur schwerlich zu gewinnen sein dürfte, zahlte diesen Preis.

Als Chef des nationalen Sicherheitsdienstes steht Lebed nun einem der einflußreichsten Führungsgremien des Landes vor. Der Sicherheitsrat, der von Jelzin noch vor seiner Wahl zum ersten russischen Staatschef im Juni 1991 ins Leben gerufen wurde und der 1994 die Intervention in Tschetschenien beschloß, gilt als Schaltzentrale der Macht im Kreml.

Ungeklärt ist derzeit noch die Frage, wer auf den Sessel des Verteidigungsministers befördert wird. Schon seit längerem wird Boris Gromow als möglicher Nachfolger gehandelt. Sollte Gromow wirklich das Erbe Gratschows antreten, könnte sich Jelzin auch damit für die zweite Wahlrunde empfehlen. Gromow hatte Ende 1994 aus Protest gegen den Einmarsch russischer Truppen in Tschetschenien sein Amt als stellvertretender Verteidigungsminister niedergelegt und gilt seitdem als Kritiker des Krieges im Kaukasus. Barbara Oertel

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