: Ein Star für volle zehn Minuten
■ Per Kneipencasting ins Fernsehen: Woher kommen all die Leute in den Talkshows sonst?
„Jeder heutige Mensch kann einen Anspruch vorbringen, gefilmt zu werden.“ Walter Benjamins Utopie ist längst öder Fernsehalltag geworden. Talkshows für jedermann sind nicht nur billige TV-Ware, sie erfreuen sich zudem ungebrochener Beliebtheit. Schon vormittags flimmern die bunten Real-Life-Formate über die Mattscheibe und strukturieren den Alltag von Hausfrauen und Arbeitslosen. Nicht daß in Talkshows sonderlich viel Kluges geredet wird ist ihr Erfolgsgeheimnis, sondern die Gewißheit des Zuschauers, selbst etwas Kompetenteres zum Thema sagen zu können. Aber wie finde ich in die richtige Talkshow zum richtigen Thema? Ein Mann weiß Rat. Gerd-Manfred (GeMa) Arndt ist Talkhunter und hat es sich zur Profession gemacht, Menschen ins Fernsehen zu bringen. Nach einem eigenen Auftritt bei Schreinemakers zum Thema „Männer täuschen einen Orgasmus vor“ fragten ihn Redakteure, ob er nicht noch andere witzige Leute kennen würde, die nur darauf warten, ihre Schnurren einmal im Fernsehen zu verbreiten. Seitdem vermittelt er Menschen an Talkshows. Maria Manté zum Beispiel. Die 86jährige Diseuse aus dem St.Michaelisstift hat Schwierigkeiten mit Callboys: „Ich sag' nur: Totale Hängelampe.“ Bei Arabella Kiesbauer hat sie, eingerahmt zwischen zwei gutgebauten Models, einen großen Auftritt und ein Taschengeld. In solchen Fällen begleitet GeMa seine Talkgäste auch mal per Bahn zum Studio nach München. „Für viele Leute ist es sowas wie Therapie, im Fernsehen aufzutreten, besonders Bauchtänzer neigen dazu, ihre künstlerische Qualität zu überschätzen.“ Gelegentlich rät GeMa Interessenten von einem TV-Auftritt ab. Die Gefahr, mit hanebüchenem Blödsinn zum Buhmann der Sendung zu werden, ist zu groß. Groß war auch das Staunen eines Hamburger Strichers, der kurz vor der Sendung in dem bekennenden Freier den eigenen Vater erkannte.
Neue Gesichter und interessante Leute findet GeMa, der lange auf dem Kiez eine Kneipe betrieb, überall: Per Annonce, in Kneipen, an der Supermarktkasse. Selten wird mal eine Frau handgreiflich, wenn der vollschlanke Talkagent fragt: „Hätten Sie nicht mal Lust, ins Fernsehen zu kommen?“ Gelegentlich tritt der ausgebildete Mime und Dramaturg auch in ambitionierten Fernsehspielen auf. So zum Beispiel ab Mitte August in der Pro Sieben-Krimiserie Alles außer Mord.
Wer GeMa kennenlernen möchte, hat morgen um 20.00 Uhr dazu Gelegenheit. In der Trattoria Lillo, Hein-Hoyer-Straße 75/Ecke Paulinenplatz, findet ein Kneipencasting statt. Neben zwei aktuellen Lichtbildern sollte man auch Themenvorschläge mitbringen. Im Anschluß gibt es einen kleinen Geburtstagsumtrunk, GeMa wird nämlich runde 41. Gerne droht der Brad-Pitt-Fan bei solchen Anlässen mit prominenten Gratulanten, läßt hier und da Namen wie Oliver Stone fallen, der immerhin Gast in GeMas „Sonderbar“ war. „Ich habe eine ganze Stunde mit Doris Banuscher telefoniert.“ Vielleicht wird an diesem Abend ja auch ein neuer Talkshowstar geboren. Ein Bauchtänzer etwa, aus dem um Mitternacht eine Torte herauskommt. Eckhard Bühler
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