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Ausflüge ins unheimliche Zuhause

„Alles, was du anfaßt, wird zu Toronto“ – Kanada-Filmreihe im Arsenal  ■ Von Gudrun Holz

Kennen Sie David Cronenberg, Atom Egoyan, Patricia Rozema? Alle drei mittlerweile etablierte RegisseurInnen, die einer der lebendigsten nationalen Filmszenen entstammen und eins gemeinsam haben: Sie kommen aus dem Land mit dem roten Ahornblattt auf der Flagge, nämlich Kanada.

Das Arsenal zeigt nun eine kanadische Reihe mit Spiel- und Kurzfilmen aus den letzten fünfzehn Jahren, die die Originalität der lokalen Filmlandschaft illustriert. Steuervergünstigungen Ende der siebziger Jahre seien entscheidend für den Boom in der Spielfilmproduktion gewesen, eine vom kommerziellen, US-amerikanischen Markt unabhängige Infrastruktur sei dadurch überhaupt erst entstanden, erklärt Robin Curtis, die die Filmreihe zusammenstellte und diese auch filmwissenschaftlich betreut.

Ein Großteil der Filmschaffenden kommt eher aus dem Bereich der bildenden Kunst, künstlerisch aufwendige, mitunter spröde Filme sind dementsprechend charakteristisch für den aktuellen kanadischen Film.

Die übermächtige nordamerikanische Landschaft, die Beschäftigung mit historischer und heutiger Einwanderungsgeschichte sind immer wiederkehrende Motive der Filme, die daneben aufallend häufig als Reiseberichte, persönliche Recherchen oder Doku-Dramen daherkommen. „Nationale und ethnische Identität sind ein kulturelles Dauerthema in Kanada“, so benennt Curtis die Schwerpunkte, die auch die Programmierung bestimmten.

In „Girl from Moush“ (1993) von Cariné Torossian, entstanden als Nebenprodukt ihrer Mitarbeit an Atom Egoyans „Calendar“, bebildert die Filmemacherin armenischer Herkunft eine fiktive Erinnerungsgeschichte. Collagierte Filmstandbilder, zu denen eine kaum verstehbare Frauenstimme zweisprachig telefonisch einen Kommentar spricht. Ins Filmmaterial selbst sind dazu noch kleine Rechtecke geschnitten, in denen eine parallele Bildfolge abläuft, als gelte es, etwaige Erinnerungslücken zu markieren.

Die „Beschäftigung mit dem Zuhause“, wie Curtis es formulierte, geht in Michael Holbooms und Steve Sangueldolches halbstündiger Arbeit „Mexico“ (1992) verschlungene Wege. Was so aussieht wie ein touristischer Filmausflug in die Sierra Madre entpuppt sich als gefälschtes Homemovie. Während am Zugfenster mexikanische Weiten in Sepiatönen vorbeiziehen oder Stierkämpfe Lokalkolorit liefern, redet der Off-Kommenter nur von daheim (Kanada). „Everything you touch turns into Toronto“ heißt denn auch folgerichtig der Kernsatz des Films.

Der Kurzfilm „Nachlaß“ (1992), ein über Jahre zusammengetragener, in Kanada begonnener, schließlich in Berlin beendeter Film der Programmacherin Curtis selbst, ist der ukrainischen Großmutter gewidmet. Die ihr kaum bekannte, „Babschka“ genannte Frau wird dabei zum diametralen Gegenbild der jungen Filmemacherin der dritten Einwanderungsgeneration. Damals die schreibunkundige, vierzehnjährig verheiratete Landfrau, für die der eigene Landbesitz alles bedeutete, im Gegensatz zur jungen Kanadierin, die, materiell unabhängig, als Wahlberlinerin Fremdheit und Sprachbarriere als selbst gewählt erlebt.

Bruce La Bruces schwarzweißer Wackel-Porno „Super 8 1/2“ ist bestenfalls auf den dritten Blick ein Streifen für Lanschaftsliebhaber. Zwar wird ziemlich viel im kanadischen Norden herumgekurvt, aber die optischen Ergebnisse sind dabei weniger „stranger than paradise“ als schlicht strange, meint seltsam. Ein bissel Beschäftigung mit dem eigenen pornographischen Bauchnabel, ein bissel Anleihen bei titelverwandten italienischen Spielfilmvorbildern, das wär's schon.

„Local Knowledge“ (1991) von David Rimmer beschäftigt sich fast exklusiv mit den kanadischen Gewässern und deren Schiffbarkeit. Zu psychedelischen Klängen ist hier filmisch „Land unter“. Anfangs farbstarke Bilder lösen sich in Umrisse und Schemen auf. Zappelnde gefangene Fischmassen werden bleichen Frauenbeinen überblendet, unscharfe Gestalten bewegen sich wie chinesisches Schattentheater über die Leinwand. Insgesamt ein suggestiver Landschaftsfilm, der mit den Exzessen des deutschen Naturfilms wenig gemeinsam hat und darum ganz schicht mit einem naturalistischen Sonnenuntergang enden darf. Ellie Epps Viertelstünder „Notes in Orgin“ (1987) dagegen verweigert sich komplett einer linearen Nachvollziehbarkeit. Einzelaufnahmen der heimatlichen Holzveranda, Nebelfelder, Bilder, die einander bis ins Detail zu gleichen scheinen, erzeugen eine ähnlichen Effekt wie x-mal gesehene Kinderfotos: zigmal vorgekramt und jedesmal ein bißchen anders fremd.

„Filme aus Kanada“ – Eine Filmreihe in vier Programmen vom 20.6. bis 4.7. im Kino Arsenal, Welser Str. 25, Schöneberg; jeweils Donnerstag: 20.6., 17 Uhr, 27.6., 21 Uhr, 11.7., 21 Uhr, 4.7., 21 Uhr

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