: Woher soll der Nachwuchs kommen?
■ Schriftstellerei als romantische Luftblase: Noch ist „Szenisches Schreiben“ ein Probestudiengang an der HdK. Jetzt droht mit dem Berliner Sparkurs die Schließung
Die junge Frau steht am Grab des Feindes. „Ich habe immer gedacht, ich würde jubeln, wenn es soweit ist“, meint sie schwermütig. Schon nähert sich das Gespenst des verblichenen Liebhabers und lamentiert: „Ich habe dich auf Händen getragen!“ Ein Ehekrach voll vager Beschuldigungen beginnt. Zwischendrin hebt die Dozentin beschwörend die Hände: „Was wollt ihr in dieser Szene? Was war euer Leben? Versucht, konkret zu sein!“
Aus knappen Stichworten müssen die Studenten in Minutenschnelle solch dramatische Szenen entwickeln. Die Improvisationsübungen sind Teil des Studiengangs „Szenisches Schreiben“ an der Hochschule der Künste, in dem junge Autoren fürs Theater ausgebildet werden. Voraussichtlich nicht mehr lange: Der in Deutschland einzigartige Studiengang soll im Zuge der Sparmaßnahmen eingestellt werden.
„Immer wieder wird über fehlenden literarischen Nachwuchs geklagt, aber woher soll er kommen, wenn er nicht unterstützt und ausgebildet wird?“ meint Tatjana Flade vom Bundesverband junger Autoren und Autorinnen. Mehr als 120 Theaterschaffende aus dem gesamten deutschsprachigen Raum haben ein Protestschreiben gegen die Abschaffung des Studiums unterzeichnet, darunter Elfriede Jelinek und Martin Wuttke. Kein Wunder: Einige Absolventen des Fachs feierten auf den Bühnen bereits große Erfolge. So haben bekannte Nachwuchsautoren wie etwa Thomas Oberender, Katharina Gericke und Silvio Huonder an der HdK Szenisches Schreiben studiert. Die Absolventin Dea Loher wurde 1993 von „Theater heute“ zur Nachwuchsautorin des Jahres gekürt. Zudem erhielten mehrere Studenten den Dramatikerpreis der Frankfurter Autoren-Stiftung.
Szenisches Schreiben, vor sechs Jahren eingeführt, ist immer noch ein Probestudiengang. Zwar plädierten 1995 alle Gremien der HdK dafür, das Fach als regulären Studiengang fortzuführen. Doch das ist durch die Sparbeschlüsse des Senats fast unmöglich geworden. Szenisches Schreiben wurde bislang von Gastprofessoren gelehrt, jetzt müßten feste Stellen geschaffen werden – in einer Zeit, in der die HdK insgesamt sechzig Stellen einsparen muß.
Die Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung beharrt jedoch eisern auf ihrer Vorgabe. „Der HdK bleibt es unbenommen, den Studiengang weiterzuführen – aber sie muß ihre Einsparziele erreichen“, erklärt Pressesprecherin Schneider. So schieben sich HdK und Senatsverwaltung derzeit gegenseitig den Schwarzen Peter zu.
Neue Studenten werden für Szenisches Schreiben nur alle zwei Jahre aufgenommen. Im Moment gibt es nur acht reguläre Studenten, denn die sieben aus sechzig Bewerbern ausgewählten jungen Autoren, die eigentlich im Wintersemester ihr Studium hätten aufnehmen sollen, durften sich nicht immatrikulieren. Jetzt nehmen sie als „virtuelle Studenten“ an den Lehrveranstaltungen teil und organisieren im übrigen die Aktivitäten für den Erhalt ihres Studiengangs. „Die Frage, ob es überhaupt weitergeht, ist lähmend“, sagt die 24jährige Anne-Kathrin Schulz, die bisher als freie Journalistin gearbeitet hat. „Ich möchte endlich richtig mit dem Schreiben loslegen, statt in erster Linie Studentenaktivistin zu sein.“
„Ich tue alles dafür, den Studiengang zu erhalten“, versichert HdK-Präsident Professor Lothar Romain. Möglicherweise ließe sich das Fach mit ein bis zwei festen Stellen als Aufbaustudium weiterführen. Mit der knappen Stellenzahl könnten sich Dozenten und Studenten abfinden. Aber ein Aufbaustudium würde all jene Bewerber ausschließen, die nicht schon einen Studienabschluß haben. „Dabei sind gerade bunte, verquere Biographien gut fürs Schreiben“, meint Jürgen Hofmann, der die Studenten in Analytischer Dramaturgie unterrichtet, einem der drei Bereiche, die das Studium vorsieht. Der Schriftsteller Yaak Karsunke lehrt „Szenen schreiben“, ein Fach, in dem nicht nur Texte der Studenten besprochen, sondern auch Aufgaben gestellt werden – zum Beispiel, aufgrund einer Zeitungsmeldung eine Szene zu verfassen. Tankred Dorst sowie wechselnde Gastdozenten lehren im Bereich „Szenische Arbeit“, in dem unter anderem das Vorstellungs- und Beobachtungsvermögen der Studenten geschult wird.
„Natürlich kann man nur jemandem, der schon schreiben kann, etwas beibringen“, sagt Jürgen Hofmann. Aber die jungen Dramatiker lernen gezielt Techniken, die sie sich sonst in viel längerer Zeit selbst aneignen müßten. Und sie können ihre Texte im Austausch mit anderen erarbeiten. „Man hat ein Publikum, und das macht diese romantische Luftblase des Schriftstellerns konkreter“, sagt Alexander Pfeuffer, Student im 5. Semester. Im Moment arbeitet er an „Fleisch“, einer Groteske über vegetarische Mönche.
Spätestens bis Ende Juli muß der Akademische Senat der Hochschule der Künste alle benötigten Stellen benennen. Eine Einstellung des Studiengangs hätte vermutlich Auswirkungen auf die gesamte deutsche Theaterszene. Klaus Wagner, Intendant des Theaters Heilbronn, bringt es auf den Punkt: „Auch in unserem Land fallen die Dichter nicht vom Himmel.“ Miriam Hoffmeyer
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