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Nichts zu sagen?

■ Helmut Heißenbüttels 75. Geburtstag wird in der Freien Akademie begangen

Wer Heißenbüttel sagt, muß auch Avantgarde sagen. Helmut Heißenbüttels Abkehr von traditionellen Erzählformen verdeutlicht schon sein Credo: „Ich habe eigentlich nichts zu sagen“. Diese paradox anmutende frühe Äußerung bezeugt die entschiedene Absage an eine subjekt-zentrierte Literatur.

Die Sprache wird zur einzigen Gewißheit, der Autor zum Arrangeur vorgefundenen Wortmaterials. Seine Textbücher und Projekte numeriert er wie Versuchsreihen. Den Sinn aber stiften die Leser: „natürlich haben alle was gewußt der eine dies und der andere das aber niemand mehr als das und es hätte schon jemand sich noch mehr zusammenfragen müssen wenn er das gekonnt hätte aber das war schwer.“ Diese Collage („Kalkulation über was alle gewußt haben“,Textbuch 5) macht die Rechtfertigungsmuster politischer Mitläufer sichtbar. „D'Alemberts Ende, Projekt 1 decouvriert das intellektuelle Gemurmel 1968: „Sie reden alle durcheinander über den und den, der die und die Bilder von dem und dem scheußlich oder fabelhaft oder das Letzte oder einfach nicht mehr up to date findet.“

Das Verquicken von Zitaten und literarischen Gestaltungsmustern, das „Bündeln von Redegewohnheiten“ schafft ein echtes und zugleich künstliches Sprachgebilde. In dem Geschichtenband Wenn Adolf Hitler den Krieg nicht gewonnen hätte inszeniert Heißenbüttel Walter Benjamins gescheiterte Flucht über die Pyrenäen, meditiert über Brechts Mehrfrauen-Beziehungen und reflektiert seinen eigenen Widerschein in der Sprache: „Wenn ich anfange anzufangen, wo fange ich an? Ich erinnere mich und bin voll Sorge, Angst, Verlangen, Gefühl, Abwehr, Wut, Verzweiflung und Hoffnung. Aber das alles findet sich nicht in den Sätzen, die formulierbar sind, noch nicht.“

Heißenbüttels Schreiben ist der fortdauernde, radikale Versuch, mit allen Mitteln der Sprache das Leben zum Sprechen zu bringen. Vor einem Vierteljahrhundert schrieb er in einem Gelegenheitsgedicht „Die Freuden des Alterns“: „als werden möchte er nicht / damit er nicht alt wird“. Heute feiert er seinen 75. Geburtstag. Aus diesem Anlaß spricht Hans Mayer. Christina Weiss, Peter Rühmkorf, Günter Grass und andere lesen Texte des Schreib-Weisen. Frauke Hamann

Freie Akademie der Künste, Klosterwall 23, 19.30 Uhr

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