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Verraten und verkauft

■ 10.000 bis 12.000 Mark will Bosnien pro zurückgenommenem Flüchtling / Hamburg will abschieben, bevor gar nichts mehr geht Von Silke Mertins

„Wir können uns die Flüchtlinge doch nicht abkaufen lassen“, machte Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) gestern seine unverändert harte Haltung zur Rückführung bosnischer Bürgerkriegsflüchtlinge aus Hamburg deutlich. Er werde es nicht zulassen, daß „die bosnische Seite die Rückkehr als Einnahmequelle mißbraucht“.

Hamburgs Innensenator und Vorsitzender der IMK (Innenministerkonferenz von Bund und Ländern) drückt sich da noch zurückhaltend aus. Denn 10.000 bis 12.000 Mark Kopfgeld verlangt die bosnische Regierung pro zurückgenommenem Flüchtling und will außerdem bestimmen, wen sie überhaupt nimmt. Traumatisierte und alte Menschen, befürchten ExpertInnen, werden dann mangels ökonomisch-sozialem Nutzen einfach nicht ins Land gelassen.

Weil Bosnien keine Anstalten macht, die Rückkehrbedingungen für Flüchtlinge zu verbessern, will Wrocklage am Abschiebeplan festhalten, selbst wenn kein Rückführungsabkommen mit Bosnien zustande kommt. Ursprünglich sahen die IMK-Beschlüsse den Beginn der Massenabschiebung schon zum 1. Juli vor. Nun wurde die Gnadenfrist auf Oktober verlängert. Anders als etwa Schleswig-Holstein will Wrocklage die Zwangsmaßnahmen zur Rückkehr aber nicht bis zum kommenden Frühjahr aussetzen. Offenbar will er weder von Hamburgs 12.600 bosnischen Bürgerkriegsflüchtlingen noch von der bosnischen Regierung den zeitlichen Druck nehmen. Von der ersten Abschiebewelle sind rund 5000 Hamburger Flüchtlinge betroffen; Ehepaare und Alleinstehende ohne minderjährige Kinder. Über 1100 haben bereits eine Ausreiseverfügung erhalten, die nun bis zum Oktober verlängert wird. Fast die Hälfte klagt dagegen vor dem Verwaltungsgericht.

Wieviele von diesen Klagen auf „Irrtümern“ der Ausländerbehörde beruhen, ist derzeit unklar. Immer wieder wurden Medien, SozialarbeiterInnen und Flüchtlingsorganisationen Fälle bekannt, wo Kranke, Alte und auch Familien mit kleinen Kindern ausreisen sollten. Immerhin reagierte Innensenator Wrocklage auf die hohe Zahl weisungswidriger Ausreiseverfügungen mit einer Hotline für FlüchtlingsberaterInnen (siehe Kasten).

„Wir setzen weiterhin auf Freiwilligkeit“, betonte Wrocklage seinen theoretisch-humanitären Abschiebansatz. Die einzige Freiwilligkeit besteht in Hamburg derzeit darin, daß Flüchtlingen eine „Schnupperreise“ mit Rückkehrmöglichkeit nach Deutschland erlaubt wird. Wenn sie in Bosnien allerdings feststellen, daß ihr Dorf nicht mehr steht und keine Existenzgrundlage in Sicht ist, werden sie anschließend trotzdem aus Hamburg abgeschoben. Eine dauerhafte Bleibeperspektive dürfe es nicht geben, ließ Wrocklage keine Zweifel.

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