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„Krankheit als Herausforderung“

■ Paulina D. hat Brustkrebs – aber sich den Ärzten blindlings auszuliefern, kommt für sie nicht in Frage

„Krebs“ – schießt es Paulina D. durch den Kopf. Eine heiße Welle durchflutet ihren Körper. „Ich wußte sofort: Da ist was, und es ist ernst“, erinnert sich die heute 47jährige an den Moment vor sechs Jahren, der ihr Leben schlagartig verändern sollte. „Krebs“, denkt sie als sie auf dem Bauch auf einer Liege im Garten liegt und plötzlich diesen Knoten in ihrer linken Brust spürt. Die Sonne scheint auf ihren Rücken. „Krebs“, pocht es in ihrem Kopf. „Du hast Krebs“.

„Machen Sie sich nicht verrückt“, mahnt der Professor für Gynäkologie als er sie am nächsten Tag abtastet. Auch er fühlt den Knoten. „Aber da ist nichts. Davon bin ich überzeugt“, winkt er ab. „Aber wir gucken mal.“ „Da ist was“, antwortet Paulina D. bestimmt und drängt auf eine Mammographie. Das Ergebnis ist negativ. „Da ist was. Ich spüre es doch“, beharrt Paulina D. „Röntgen sie aus einer anderen Perspektive, und Sie werden es sehen.“ Unwirsch willigt der Arzt ein: „Wenn es Sie beruhigt, bitte“.

Als das Ergebnis vorliegt, wird Paulina D. sofort in die Klinik eingewiesen und operiert. „Zur Sicherheit“ - sagen die Ärzte. Gewebe wird entnommen, der Knoten entfernt. Als Paulina D. aus der Narkose erwacht, sitzt ihr Mann an ihrem Bett. „Die Ärzte sind sich noch nicht sicher“, sagt er. „Aber ich“, antwortet die Frischoperierte. Der Arzt steckt den Kopf ins Zimmer: „Frau D., Sie haben Krebs“, sagt er knapp. „Das weiß ich doch schon längst.“

„Wenn ich damals nicht so hartnäckig gewesen wäre, wer weiß, ob ich heute noch am Leben wäre“, siniert Paulina D. Als selbständige Geschäftsfrau hat sie gelernt, „sich durchzusetzen“. „Doch damals war das gar nicht so einfach“, erinnert sie sich. „Die Ärzte haben mir ständig das Gefühl gegeben, daß sie alleine wüßten, was für mich gut ist und daß ich mich blindlings auf sie verlassen müsse.“

Doch gerade das wollte Paulina D. nicht. 24 Mal soll sie nach der Operation zur Bestrahlung. In der Hoffnung, die restlichen Krebszellen im Körper abzutöten, läßt sie die Prozedur zwei Mal über sich ergehen. Dann kann und will sie nicht mehr: „Ich habe das einfach nicht ausgehalten. Dieser Keller. Diese kahlen Wände. Die Leute saßen auf dem Flur und haben auf ihre Bestrahlung gewartet. Ihre Gesichter waren leer und hoffnungslos – so als hätten sie sich selbst aufgegeben. Ich konnte da nicht mehr hingehen.“

Die Ärzte respektieren die Entscheidung ihrer Patienten nicht. „Die meinten, Sie wissen ja gar nicht, was Sie da tun“, erinnert sich Paulina D. „Vielleicht waren sie im Recht. Aber ich hatte damals das sichere Gefühl, wenn Du Dich weiter bestrahlen läßt, dann war dies Dein letzter Sommer.“

Auch ihr Mann ist über die Entscheidung seiner Frau, die Strahlentherapie abzubrechen, entsetzt. „Du mußt alles tun, was die Ärzte von Dir verlangen“, drängt er. „Versprich' mir, daß Du den Krebs überlebst.“ Wenig später trennt sich Pauline D. von ihrem Mann. „Viele Leute waren schockiert und meinten, Du kannst Dich doch in Deiner Situation nicht scheiden lassen. Aber, es war richtig. Ich habe mich nie gefragt, warum gerade ich. Aber ich dachte mir, wenn Du nun schon krank bist, mußt Du auch bewußter in Dich hineinhorchen, um herauszufinden, was Du wirklich willst und was gut für Dich ist. Die Trennung gehörte dazu.“

Kurz nach der ersten Operation bekommt Pauline D. den Anruf einer Freundin. Ihre Worte sind wie ein Schock: „Du, ich glaube ich bin auch dran. Da ist ein Knoten in meiner Brust. Das ist Krebs. Ich bin sicher.“ Die Freundin täuscht sich nicht. Ein Jahr lang kämpft sie gegen den Krebs. Kurz nach ihrem 50sten Geburtstag stirbt sie. „Wir waren viel zusammen“, erinnert sich Paulina D. „Meine Bekannten haben mir davon abgeraten, mich so viel um meine Freundin zu kümmern. Sie meinten, ich könnte das nicht verkraften. Aber ich mußte mich damit auseinandersetzen. Und das war gut. Ich habe nach der Operation am Bett meiner Freundin gesessen. Ich habe gesehen, wie sie sich immer wieder durch alle möglichen Therapien gequält hat, und ich habe mir geschworen, ich lasse mich nicht so totspritzen.“

Ein Jahr nach dem Tod der Freundin spürt Pauline D. wieder einen Knoten ihrer linken Brust. Vor der Operation schlagen ihr die Ärzte vor, die Brust bei diesem Eingriff gleich mitzuentfernen. Paulina D. lehnt ab. Sie will ihre Brust behalten. Noch hat sie die Hoffnung nicht aufgegeben, daß sich „der Krebs verzieht wie er gekommen ist“. Die Zeit nach der Operation scheint ihr recht zu geben. Zwei Jahre ist alles in Ordnung. Dann spürt Paulina D. plötzlich wieder einen Knoten in der Brust. „Die Angst verläßt einen nie“, weiß sie. „Ich habe versucht, die Krankheit immer einigermaßen mit Fassung zu tragen. Aber als ich dann wieder einen Knoten in meiner Brust spürte, war es vorbei. Ich hab' mich erstmal hingesetzt und geheult. Ich wußte doch, daß jetzt die Brust abgenommen wird.“

Als Paulina D. aus der Narkose erwacht, ist sie allein im Zimmer. Vorsichtig hebt sie die Bettdecke an. „Ich hab' nur dieses große Pflaster gesehen und die Decke gleich wieder fallenlassen.“ Sie wartet fünf Tage. Dann reißt sie das Pflaster mit einem Ruck ab. „Es war furchtbar. Diese Narbe. Diese gräßliche Narbe. Ich kann gar nicht beschreiben, was ich gefühlt hab'. Selbst das Wort Verzweiflung wäre noch zu banal.“

Ein paar Tage später, Paulina D. hat sich nicht von dem Schock wieder erholt, steht plötzlich eine Vertreterin eines Sanitätshauses an ihrem Bett. „So, jetzt wollen wir uns mal was aussuchen“, sagt sie und holt gepolsterte BH's aus ihrem Koffer. Paulina D. schickt sie weg. „Das hat mir einfach nicht gepaßt, daß diese Tante so mir nichts dir nichts einfach in mein Zimmer platzt, ohne sich anzumelden. Ich fühlte mich richtig überfahren. Und wie die mit mir geredet hat – als wäre ich begriffsstutzig.“ Am nächsten Tag kommt die Vertreterin wieder – den Termin hat sie diesmal mit Paulina D. abgesprochen. „So jetzt wollen wir mal sehen, was wir für ihr Büsselchen tun können“, eröffnet sie das Gespräch. „Wie bitte“, fragt Paulina D. zurück. „Das ist meine Brust. Auch wenn es nur noch eine ist. Das ist meine Brust und kein Büsselchen.“ „Wir nennen das aber Büsselchen“, erwidert die Vertreterin. „Es ist mir egal, wie Sie das nennen. Das ist meine Brust. Und wenn Sie mir was verkaufen wollen, nennen Sie es am besten auch so.“

Paulina D. hat klare Vorstellungen davon, was sie will. „Hier“, sagt Sie und zeigt der Vertreterin einen raffinierten BH aus schwarzer Spitze. „Den will ich nachgearbeitet haben.“ „Also, solche Modelle haben wir nicht für Frauen, die, äh, naja, also, deren Brust...äh.“ „Dann machen Sie es eben jetzt das erste Mal, und Sie werden sehen. Das Modell wird der Renner.“

Paulina D. wird noch heute wütend, wenn sie an dieses Gespräch mit der Verkäuferin zurückdenkt. „Die hat mich behandelt, als wäre ich keine vollwertige Frau mehr. Als würde das Thema „Männer“ jetzt für mich abgehakt sein.“ Das dem nicht so ist, erlebt Paulina D. ein halbes Jahr nach der dritten Operation. Sie trifft einen langjährigen Freund wieder. „Ich habe mich lange zurückgehalten. Eines Tages saßen wir im Auto wie zwei Teenager. Als seine Hand langsam in Richtung Brust wanderte, habe richtig Panik gekriegt. Ich hab' gesagt: ,Du, ich bin doch jetzt das dritte Mal operiert worden.' Er meinte nur, na und, ich definiere Dich doch nicht über Deine Brust. Da hab' ich erstmal geheult.“

Vor drei Monaten hat sich Paulina D. einer Chemo-Therapie unterzogen. Ein Lymphknoten war von Krebszellen befallen. Bevor ihr die Haare ganz ausfielen, hat sie sie raspelkurz schneiden lassen. Den Fiffi, die Perücke, mit der sie eigentlich ihre Glatze verstecken wollte, hat sie nie getragen. „Ich dachte, Du stehst dazu. Dann hast Du eben keine Haare. Na und?“ Mittlerweile sind die Haare wieder streichholzlang. „Sie wachsen“, stahlt Paulina D. und fährt mit der Hand durch den dunkelblonden Schopf.

„Schreib' bloß nicht so eine melancholische Geschichte“, mahnt sie zum Abschied. „Ich bin zwar manchmal traurig. Aber ich genieße das Leben. Und ich fühle mich wohl als Frau. Meine Krankheit ist eine Herausforderung. Ich habe die Verantwortung für mich übernommen. Und die Hoffnung gebe ich auch nicht auf.“ Kerstin Schneider

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