„Du Lesbe gehst aus meiner Wohnung“

■ Für lesbische Mädchen, die Schwierigkeiten mit den Eltern haben, eröffnet am 1. Juli eine betreute Wohngemeinschaft. Hier können sie ohne Sticheleien zu ihrer Identität finden

„Ich halte es zu Hause nicht mehr aus.“ Den Satz hat Sabine Höhne oft gehört – von Jugendlichen, die wegen ihrem Coming-out Schwierigkeiten mit den Eltern haben und von zu Hause wegwollen. Doch meist wissen sie nicht, wohin. Um für diese Jugendlichen einen Freiraum zu schaffen, wo sie zu ihrer Identität finden können, eröffnet der Verein gleich & gleich in Zusammenarbeit mit dem Jugendnetzwerk Lambda am 1. Juli eine Wohngemeinschaft für lesbische Mädchen. Eine zweite WG für Jungen wird folgen.

Das Projekt schließt eine Lücke, denn in Jugendwohnheimen und betreuten Wohngemeinschaften haben lesbische und schwule Jugendliche nur selten das Gefühl, offen über ihre Homosexualität sprechen zu können.

„Es gab Sticheleien von den anderen Mädchen,“ sagt die 18jährige Jessica, die am 1. Juli in die Mädchen-WG einzieht und derzeit im Mädchenhaus wohnt. „Ich will nicht mit dir in einem Zimmer sitzen“, und „Hier riecht's so komisch nach Lesbe“, mußte sie sich anhören. Eine junge Frau, mit der sie sich sehr gut verstanden hatte, reagierte schockiert: „Was, du bist auch eine Lesbe? Ich bin hier falsch, ich will ausziehen.“

„Es gab viele Situationen, wo ich dachte, Mädels, ihr müßt uns so akzeptieren, wie wir sind“, sagt Jessica, die viel erwachsener wirkt als ihre Altersgenossinnen. Zwar hatte sie das Glück, bei den Betreuerinnen im Mädchenhaus Unterstützung zu finden, doch wegen der Streitereien ist es für sie unerträglich geworden, weiter dort zu wohnen. Weil das Mädchenhaus ohnehin nur für einen vorübergehenden Aufenthalt gedacht ist, mußte eine Lösung gefunden werden. Denn nach Hause kann und will sie nicht zurück.

Als sie ihrer Mutter sagte, daß sie sich in eine junge Frau verliebt hat, hieß es: „Du Lesbe gehst aus meiner Wohnung.“ Jessicas Stiefvater, der sie jahrelang sexuell mißbraucht hat, hält Homosexualität für eine Krankheit. „Meine Mutter wird sich nie damit abfinden“, meint Jessica. Die glaube immer noch, es handle sich nur um eine Phase. Nur ihr zehnjähriger Halbbruder verkündet gegenüber Freunden stolz: „Meine Schwester ist lesbisch.“

„Mädchen werden in ihrem Coming-out oft nicht ernstgenommen. Das wird oft als spinnerte Phase abgetan“, stellt Sabine Höhne, Mitbegründerin des Projektes, fest. Das Angebot, in die Mädchen-WG mit fünf Plätzen einzuziehen, richtet sich an 15 bis 18jährige. Zwei WG-Beraterinnen, Sabine Höhne (34) und Maren Hillmann (29), unterstützen die Bewohnerinnen bei der Bewältigung ihres Alltags ebenso wie bei der Selbstfindung. Dabei spielt es für den Verbleib in der WG letztlich keine Rolle, welche sexuelle Orientierung für die Jugendlichen maßgeblich wird.

Zwei Hürden stehen allerdings vor dem Einzug: Die Eltern müssen zustimmen und auch das Jugendamt, das die Tagessätze übernimmt. Der Auszug aus dem Elternhaus bedeute übrigens nicht, daß der Kontakt zu den Eltern ganz abbrechen müsse, stellt Maren Hillmann klar. Vielmehr könne dadurch eine „heilsame Distanz“ entstehen, die mit der Zeit zu gegenseitiger Akzeptanz führen könne. Dorothee Winden

gleich & gleich ist mittwochs und donnerstags von 11 bis 13 Uhr unter 2827990 zu erreichen