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Netzstrümpfe und Spitzenwäsche

Randvolle Bilder und Träume ohne Deutung: Zwei neue Comics der Kanadierin Julie Doucet  ■ Von Cristina Nord

Ein Blondschopf in Unterwäsche, umzingelt von allerlei Schneidewerkzeug, die Beine in Netzstrümpfe gehüllt, die so gar nicht zur Tennissocke und den Badelatschen an den Füßen passen wollen, all dies gesäumt von einer Kordel, die sich als Ornament am Bildrand kringelt: Schon das Titelbild zu Julie Doucets neuem Comic „Schnitte“ verrät die Vorliebe, aus Unordnung ein Kompositionsprinzip zu machen. Die Bilder der Zeichnerin aus Montreal sind von Details übervölkert, kaum merklich verändert sich der Hintergrund, und fast wundert man sich, wie so viele Kaffeetassen, Köpfe oder Küchenutensilien in einen Rahmen passen wollen.

Wer in früheren Arbeiten Doucets geblättert hat, wird in „Schnitte“ unschwer die Heldin Julie wiedererkennen, die – ebenfalls in Netzstrümpfen und mit zu viel Lippenstift im Gesicht – schon den Titel von „Wahre Haushalts- Comics“ schmückte. Vielleicht ein Alter ego der Zeichnerin, vielleicht auch nicht, führt Julie im neuen Heft durch drei Geschichten – durch zwei Träume und eine Erinnerung an das erste Collegejahr, an langweilige Zeichenstunden, neunmalkluge Mitbewohner und durchgeknallte Freunde. Parallelen zu Doucets eigenem Erwachsenwerden mögen sich hier andeuten. Sonst aber findet die 30jährige, die seit einigen Monaten in Berlin lebt, das Etikett „autobiographischer Comic“, das mitunter für ihre Arbeiten geltend gemacht wird, nicht unbedingt treffend.

Seit acht Jahren zeichnet Doucet. 1989 wurden erste, kleinere Arbeiten verlegt, und inzwischen kann sie auf eine beachtliche Zahl von Veröffentlichungen zurückblicken; so auf neun Nummern ihres Magazins „Dirty Plotte“, auf „My most Secret Desire“, eine Sammlung von Traumstories, oder auch auf den gerade in Frankreich erschienenen Band „Ciboire de Criss“. Trotz dieser Erfolge hält Doucet Abstand zur Comicszene: „Ich habe nicht mehr so viel Kontakt zu Zeichnern. Es gibt sehr viel Konkurrenz, und wenn du eine Frau bist, heißt es schnell, du hast nur deswegen Erfolg und nicht, weil du talentiert bist.“

Trotz solchen „subtilen Sexismus“ (Doucet) ist ihre Produktivität ungebrochen. Ein Heft auf englisch ist in Vorbereitung, weitere Nummern von „Schnitte“ sind geplant, und eine Ausstellung namens „Caricature of Love“ in der Berliner Comicgalerie „Grober Unfug“ zeigt noch bis Mitte Juli Originalzeichnungen. Ein kleiner Katalog hierzu vereint 20 Frauenportraits, in denen sich Liebesleid mit Spitzenunterwäsche und krallengleichen Fingernägeln verbindet. Die Posen sind mal der Welt der Stripperinnen, mal der der Schulmädchen entlehnt. Doucet spielt gerne mit den überkommenen Modellen von Weiblichkeit – ein erfrischend ironischer Ansatz. Zum Beispiel in der Geschichte „Schwere Mensis“, in der die Heldin ihre Tage bekommt, keinen Tampon findet, sich in King Kong verwandelt und so die Stadt in Angst und Schrecken versetzt. Oder auch in „Hast du eine Plotte?“, wo sich ein Mann eine Möse in die Stirn operieren läßt und so der Mythos vom Penisneid travestiert wird.

Leider findet sich in „Schnitte“ wenig Humor von dieser Sorte. „Der Kerl bin ich“, heißt es zwar in „Julie die Schreckliche stirbt“, einem Traum vom eigenen Tod im Wilden Westen, in dem der harte Cowboy Cowgirl ist. Sonst aber tritt das ironische Spiel mit Geschlechterklischees in den Hintergrund. Statt dessen werden Traummuster bemüht, und wie es in Träumen eben so ist, verläuft die Handlung ohne schlüssige Pointe.

„Ich hatte diese großartigen Träume für Geschichten“, sagt Doucet, „Träume mit einem Anfang, einem Mittelteil und einem Ende, genau wie Geschichten und zugleich mit sehr wilden Bildern, deswegen habe ich angefangen, sie zu zeichnen.“ Und lachend fügt sie hinzu: „Frag mich nicht, was sie zu bedeuten haben. Ich habe keine Ahnung!“

Julie Doucet: „Schnitte“. 32 Seiten, 8 DM; „Caricature of Love“. 24 Seiten, 7 DM. Beide im Reprodukt Verlag, 1996

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