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Jenseits von Mottram HallElf Würste sollt ihr sein

■ Der EM-Tip Deutschland wird ganze Bevölkerungsteile in den Ruin treiben

Vor kurzer Zeit prognostizierte der Kollege Jens König an dieser Stelle, die deutsche Nationalmannschaft werde die Europameisterschaft gewinnen. Einen ganzen Monatslohn hat der Wahrsager auf den Sieg des Vogts-Teams verwettet und damit einen Sturm auf das taz- Wettbüro ausgelöst. Selbst Redakteure, die „Euro 96“ bisher für eine Arbeitsgruppe innerhalb der Europäischen Gemeinschaft hielten und unter „Kombinationsmaschine“ ein am

Das ist Carola RÖNNEBURG

Ihr Spieler: Cantona. Weil er im französischen Werbefernsehen sagt: „Ich spiele in England – manchmal.“

Ihr Team: Tschechien. Wüste Figuren. Siehe auch: „Wo die wilden Kerle wohnen“.

Europameister 96: England. Fußball ist nach Hause gekommen und will sich bestimmt mal eine Weile ausruhen.

Westmarkt gescheitertes Produkt aus Sachsen-Anhalt verstehen, geben ihren Viertelfinalrundentip ab.

In der Hoffnung, später kräftig absahnen zu können, haben Teile der Belegschaft Kredite aufgenommen. Die Herren aus der Telefonzentrale sollen gar ihre gesamten Essensmarken für dieses Jahr auf einen 14:0-Sieg gegen Kroatien gesetzt haben. Die Chefredaktion registriert entsetzt, wie Redaktionskonferenzen in Fußballdebatten umfunktioniert werden. Hätte diese Zeitung keinen Sportteil, würde sie wohl überhaupt nicht erscheinen. So aber strengen sich alle an, den Platz um die Fußballberichterstattung herum zu füllen, damit sie am nächsten Tag eine Tabelle zur Hand haben.

Im Auftrag der Chefredaktion, die mir im Falle der Zuwiderhandlung eine dreimonatige Kaffeesperre angedroht hat, liegt es nun an mir, dem unseligen Auslöser dieser Massenhysterie Paroli zu bieten und mindestens einen einleuchtenden Grund zu nennen, der gegen einen deutschen Europameister spricht.

Hier ist er – die deutsche Mannschaft ist demoralisiert. Sammer ist seit der verzweifelten Abwehrschlacht gegen Italien so verunsichert, daß er von Vogts öffentlich getröstet werden mußte. Häßler wurde soeben von Betreuer Kindermann attestiert, er habe „vorrangig mentale Probleme“. Die stellen sich nun auch bei Torjäger Klinsmann ein. Er leidet unter einer Umfrage – nur 20 Prozent aller Frauen finden ihn sexy. Torwart Köpke dagegen ringt mit einem Übermaß an Attraktivität, seine Leistung im letzten Spiel brachte Sammer derart in Wallung, daß dieser erklärte: „Dafür hätte ich ihn die ganze Nacht lang küssen können.“ Konnte er nicht, weil Köpke den Abend mit seiner Birgit verbrachte. Im Umkleideraum darf sie jedoch nicht dabeisein, weshalb sich Köpke vor jedem Spiel in den Duschraum einschließt: „Dort mache ich mich warm, schalte total ab.“

So geht das querbeet durch die Mannschaft, bis hin zu Strunz, den die B. Z. just mit den Worten zitierte: „Ich bin eine Wurst.“ So kann man nicht gewinnen, und das sollte selbst die Kulturredaktion überzeugen, die sich einen Riesenreibach mit dem Euro-Final-Tip „Deutschland–Niederlande“ ausgerechnet hat. Nein, Kollegen: Diesmal schafft Deutschland das nicht. Und übrigens kommt Maastricht auch nicht von Ajax Amsterdam. Carola Rönneburg

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