Das Bildnis des Andreas Köpke

Helden wie Uwe Seeler unter veränderten Produktionsbedingungen: Bilder von deutschen Fußballnationalspielern. Ein vorläufiger EM-Entwurf  ■ Aus Mottram Hall Peter Unfried

Das Urbild: Uwe Seeler

Selbst im „Virgin's“ von Crewe sieht man: Uwe Seeler, wie er nach vorne gebeugt vom Platz schleicht. Ein Polizist versucht, ihn zu stützen. Aha: Da ist ein Verlierer, der die Welt noch erschüttert hat.

Auch im weißen Zelt von Mottram Hall ist Seeler präsent. Er wird von Bobby Moore getackelt. Zusammen mit einem Ehrenspielführerkollegen war er dieser Tage auch persönlich im Zelt. Doch als nachher den Journalisten der Zitatenzettel gereicht wurde, standen da nur welche von Beckenbauer.

Aber das Bild Seelers aus dem WM-Finale 1966 ist in diesen Tagen allgegenwärtig. Es hat einen gewaltigen Helden-Mythos schaffen geholfen, von dem der Fußball heute noch zehrt. Das Bild lügt natürlich auch – aber es lügt gut. Es gibt eine Ahnung davon, welche Bedeutung man in den Fußball pumpen kann.

Bild 1: Andreas Köpke

Angenommen, einer wäre Maler. Und der Deutsche Fußball- Bund beauftragte den, ein Porträt des deutschen Nationalspielers anzufertigen. Arbeitsauftrag: Schaffung eines zeitgenössischen Heldenbildes nach dem Vorbild Seelers unter Berücksichtigung der veränderten Produktionsbedingungen.

Er würde überlegen – und Andreas Köpke malen.

Köpke (34) ist der Kopf, der im deutschen Team für jenes Imago steht, daß die Werbung für das Turnier entworfen hat. Guter alter, ehrlicher Fußball. Purer Fußball. Reiner Fußball. Köpke, der in der Wirklichkeit ein freundlicher, doch gänzlich unaufregender Mensch ist, gibt auf dem Rasen eine beeindruckende Gestalt ab.

Mit seinen strengen Zügen und dem schlichten, in die Vergangenheit deutenden, hellblauen Sweater wirkt er einerseits wie ein Anachronismus, andererseits wie die Verheißung einer besseren Zeit. Fußball bleibt Fußball, sagt Köpke. Er flößt den Zuschauern Vertrauen und den abergläubischen Gegnern Respekt ein. Dreimal hat Köpke gespielt, nie hat ein Ball das Netz hinter ihm berührt. Dem Italiener Zola zitterten selbst beim Elfmeter die Knie.

Wenn man Köpke aber zwingen will, sich zu loben, verweigert er sich. „Ich kannte die Ecke nicht“, sagt er zwar. Am Ende aber schwächt er ab: „Der Ball war allerdings auch nicht so hart.“ Man sollte nicht versuchen, Köpke zu Aktionen verleiten zu wollen. Er ist ein Mann, dessen Stärken im Reagieren liegen.

Mag Kollege Kahn den Eindruck vermitteln, als sei er genau jener blasse zum Sonnenbrand neigende Teutone, den Europa fürchtet, weil er sich an den Swimmingpools von Mallorca und Rhodos rücksichtslos in die besten Liegestühle drängt. Köpke wirkt immer weicher, je näher man ihm kommt.

Vielleicht ist aber Köpke für so ein Bild nicht postmodern genug.

Bild 2: Thomas Helmer

Vogts sagte: „Ich muß neben Köpke noch einen anderen Spieler herausheben. Thomas Helmer.“

Helmer war Vogts' „Turm in der Schlacht“. Am Ende war er vor den Italienern nicht gewichen; auch wenn er verletzt vom Feld wankte, wie Franz Beckenbauer vor 26 Jahren in Mexiko. Das ist auch ein schönes Bild. Darauf ist aufzubauen. Schlecht ist, daß Helmer möglicherweise morgen (16 Uhr) im Viertelfinalspiel gegen Kroatien deshalb nicht fit ist. Helmer (31) ist der „zweite Manndecker“. Seit er „Verantwortung übernommen“ hat, kann man sich einbilden, in seinem freundlichen 08/15-Gesicht mehr Halt zu finden. „Sie müssen wissen, daß ich immer versuche zu spielen“, sagte er gestern. Helmer ist jenseits des Platzes witzig. Er kokettiert mit seinem Status. „Ich wieder?“ fragt er, wenn er auf dem Podium sitzt und Fragen kommen. Helmer weiß selbst, daß eine Antwort von Babbel keinen interessiert. Schade, daß sich Helmer am Bein verletzt hat. Gemalt würde er in seiner ökonomischen Rationalität allenfalls mit einer Armschlinge funktionieren. Im Gegensatz zu Köpke ist er gänzlich geheimnisfrei.

Bild 3: Jürgen Klinsmann

Jürgen Klinsmann (31) ist der Mann, den die Engländer lieben. Vogts liebt ihn auch.

Der erste Entwurf des Klinsmann-Bildes ist natürlich, wie er jubelt, nachdem er gegen die Russen zwei Tore geschossen hat. Berücksichtigt werden müßte aber auch, daß Klinsmann stets sagt, er habe vor allem „gekämpft und gefightet für mein Team“. Morgen gegen die Kroaten? „Da geht's voll drauf“, sagt Klinsmann. Er sagt mit Vorliebe solche Sachen. Das spiegelt nämlich wider, „die Art und Weise, wie er die Mannschaft führt“ (Vogts). In Englisch klingt das alles noch viel besser. „Ich bin sehr froh, daß er mein Kapitän ist“, sagt Vogts. Die Aufklärung aber arbeitet gegen ihn und einen ewigen Mythos: Trotz aller Tore tendiert das Klinsmann-Bild der Deutschen immer mehr zum Nüchternen.

Ein Bild müßte Klinsmann jung malen, nicht alt und müde, wie er in Wirklichkeit aussieht.

Bild 4: Matthias Sammer

Was macht Matthias Sammer, wenn er nicht Fußball spielt? „Nichts. Beine hoch. Bißchen Fußball kucken.“ Das ist professionell. Sammer (28) baut „immer Spannung auf“. Sammer mag nicht dummschwätzen. „Das ist eine blöde Frage“, sagt er. Man kann sich aber nicht drauf verlassen, daß das stimmt. Es ist aber gut, wenn er solche Befreiungsschläge durch das Mercedes-Zelt am Rand von Mottram Hall zischt. Sammer ist schließlich der freie Kopf des Teams.

Allerdings ist Sammer nach jedem Spiel bei der Dopingkontrolle. Das Team ist alles, doch es scheint, als sei allein er fürs Pissen zuständig. Nur die Dortmunder Journalisten warten beharrlich, bis der Libero-Urin aus der Blase befreit ist. Der derzeitige Rekord ist zwei Stunden 17 Minuten (Rußland-Spiel). Das müßte in dem Bild vorkommen.

Bild 5: Die Ersatzspieler

Im Gänsemarsch pflegen die deutschen Ersatzspieler durch die Mixed Zone zu trotten. Marco Bode grinst gern breit, der Rostocker Schneider ist unsichtbar, und Kahn kuckt wie Dschingis. Wenn sie am Ende um die Kurve kommen, kann es sein, daß der Bayern- Keeper sich noch einmal umdreht. Da das keinen interessiert, geht er seiner Wege. Das Bild ist verzichtbar.

Bild 6: Mehmet Scholl

Dann gibt es noch Mehmet Scholl (25). Der könnte eine wichtige Zielgruppe binden, deren Interesse über jenes rein Fußballerische der unter 13jährigen und über 19jährigen hinausgeht. Die Teens. Das sind zufällig auch die, aus denen demnächst Nationalspieler werden sollen. Für Scholl ist aber (noch) kein Platz im Team. Der vorsichtige DFB-Pressechef Wolfgang Niersbach brachte ihn gestern zum ersten Mal ins weiße Zelt. „Der Trainer sagt, daß mein Einsatz kommen wird“, sagte er da. Bis es soweit ist, existiert dieser Held nicht. Der Mensch Scholl hing über dem gelben Mikro und sah verschlafen aus. Das braucht man nicht zu malen.