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Kinkel träumt von China

■ Der Außenminister und sein China-Kompromiß

Es gibt, wie schon Lenin treffend bemerkt hat, „Kompromisse und Kompromisse“. Außenminister Klaus Kinkel hat auf seine Ausladung seitens der chinesischen Machthaber nach der Tibet-Resolution des Bundestages mit ebenso unnützen wie unnötigen Zugeständnissen an die chinesische Seite reagiert. Kinkel ermunterte gestern vor der Presse die Öffentlichkeit, vom Unterschied des „konfuzianischen Menschenrechtsverständnisses“ zu unserem „abendländischen“ Kenntnis zu nehmen und sich „ein klein wenig in die Notwendigkeiten des asiatischen Kulturkreises hineinzufühlen“. Wir sollen uns also, wenngleich nur „ein wenig“, der von den vielerlei Potentaten in der Welt gepflegten Sichtweise anschließen, wonach Freiheit und Würde der Person ein Konstrukt des westlichen Zivilisationsprozesses seien, mithin nicht übertragbar auf andere Kulturen.

Interessanterweise wird dieses „kontextualistische“ Argument stets von despotischen Regierungen, nie aber von deren Opfern vorgebracht. Die „Notwendigkeit“, die diese Regime für sich in Anspruch nehmen, folgt einem apologetischen Entwicklungsschema: erst die Befriedung elementarer Bedürfnisse, dann, irgendwann vielleicht, demokratische Rechte. Was im Falle Chinas diese Maxime mit „konfuzianischem Menschenrechtsverständnis“ zu tun hat, bleibt Kinkels süßes Geheimnis. Hätte er sich nur „ein wenig“ Rat geholt, beispielsweise bei dem glänzenden Konfuzius-Kenner Heiner Roetz, ihm wäre klargeworden, daß Konfuzius und seine Schüler nicht nur über einen ausgearbeiteten Begriff der Menschlichkeit verfügten, sondern aus ihm auch Schlußfolgerungen zogen, was einem Menschen zugemutet werden kann und was nicht.

Augenzwinkernd bedeutete unser Außenminister den Chinesen, er trage die Resolution „bewußt mit“, obwohl er „in die Vorarbeit nicht einbezogen worden sei“. Wäre letzteres geschehen, so wäre „der Notwendigkeit“ gewiß genüge getan worden. Statt dieser schäbigen, indirekten Distanzierung wäre von Kinkel eine simple Klarstellung zu erwarten gewesen: daß das Prinzip der Nichteinmischung in die Angelegenheiten souveräner Staaten dort eine Grenze findet, wo Rechtlosigkeit und Willkür die schiere Weiterexistenz eines Volkes – hier des tibetischen – bedrohen. Christian Semler

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