Illusionen von Dayton

■ Die Wahlen in Bosnien werden nicht verschoben

Die Bedingungen für freie und faire Wahlen in Bosnien sind nicht erfüllt. Daran besteht nicht der geringste Zweifel. Erst am vergangenen Wochenende wurden 30 Muslime von bosnischen Serben aus ihren Häusern in Banja Luka vertrieben, der schlimmste Fall von „ethnischer Säuberung“ seit der Unterzeichnung des Dayton-Abkommens – aber gewiß auch nicht der letzte. Flüchtlinge auf allen Seiten werden selbst an Besuchen ihrer Dörfer und Häuser gehindert. Bislang sind weniger als 10.000 der zwei Millionen Flüchtlinge in ihre Heimat zurückgekehrt. Die Parteien, die den Krieg geführt haben, sind noch an der Macht und werden dort auch bleiben. In ihren Händen liegt die Kontrolle der Medien. Eine Opposition gibt es praktisch nicht. Und die Kriegsverbrecher laufen nach wie vor frei herum. Die Macht in Bosnien ist nach ethnischen Gesichtspunkten verteilt. Wahlen können da nur die Dreiteilung des Landes zementieren.

Dennoch hat der OSZE-Vorsitzende Flavio Cotti trotz eigener Bedenken den 14. September als Wahltermin für die gesamtbosnischen Wahlen bestätigt. Es wäre zu einfach, dafür allein den Druck der US-Administration auf die OSZE verantwortlich zu machen. Es sind die bosnischen Parteien selbst, die die Wahlen wollen, um ihre Macht zu legitimieren. Auch die kleinen Oppositionsparteien haben dem Wahltermin zugestimmt – aus Eigennutz. Sie wollen einen Platz an der staatlichen Futterkrippe ergattern. Und die Garantiemächte des Dayton-Abkommens waren dafür. Eine Absage der Wahlen, so ihre Befürchtung, hätte nicht nur den Zeitplan, sondern das gesamte Abkommen in Frage gestellt.

Das Problem von Dayton liegt schlicht darin, daß es ein Vertragswerk von Parteien ist, die sich alle als Gewinner des Krieges verstehen. Die alten Machteliten werden eben nicht von selbst abtreten und demokratischen Reformen Platz machen. Das perfide Spiel von Karadžić ist dafür ein Paradebeispiel. Eine Verschiebung der Wahlen hätte an all dem nichts geändert. Auch in einem halben Jahr werden die Flüchtlinge noch auf ihre Rückkehr warten und die meisten Kriegsverbrecher frei herumlaufen. Den Prozeß der Aussöhnung und Demokratisierung in Bosnien über Wahlen erzwingen zu können – auch das ist eine Illusion von Dayton. Georg Baltissen