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Pressefreiheit trifft Schlagstock

■ Der Fall Oliver Neß: Eine Gerichtsreportage über die spektakulärste Mißhandlung im Hamburger Polizeiskandal Von Silke Mertins

Das Urteil

Kaum ein polizeilicher Mißhandlungsfall ist so umfassend dokumentiert wie der des Journalisten Oliver Neß. Vor den Linsen der Fernsehleute und Fotografen wurde der polizeikritische TV-Berichterstatter zu Boden gerissen und geschlagen, die Bänder im rechten Fußgelenk wurden mit brachialer Gewalt zerrissen. Gestern ging der Prozeß zu Ende, in dem sich zwei von rund einem Dutzend Polizisten, die an Neß „dran“ waren, vor Gericht verantworten mußten. Die Strafe in dem spektakulärsten Prozeß des Hamburger Polizeiskandals fiel noch milder aus als von der Staatsanwaltschaft gefordert: 3200 und 4800 Mark Geldstrafe.

Der Schläger

Die Stirn ist in Falten gelegt, durch seine kurzgeschorenen Haare schimmert die Kopfhaut: Die meiste Zeit während der acht Verhandlungstage bleibt das gerötete Gesicht des Olaf A. ausdruckslos. Unruhig rutscht er oft auf seinem Stuhl herum, wenn die Zeugenaussagen anderer Polizisten brenzlig werden. Sein Verteidiger legt dem stämmigen 25jährigen dann väterlich die Hand auf die Schulter. Der Angeklagte schweigt bis zum letzten Tag der Beweisaufnahme. Erst dann liest er eine Erklärung vor, deren Inhalt dem Gericht durch die Videofilme ohnehin bekannt ist: Olaf A. hielt den Neß für einen „Störer“, stürzte sich auf ihn und drängte ihn mit dem Schlagstock ab. Auf den Bildern sieht man ihn weit zum Schlag ausholen. Ob er traf, sieht man nicht, und mehr verrät der Angeklagte auch nicht.

Der Fußverdreher

Ruhig, sympathisch, höflich: Der angeklagte Polizeibeamte Oliver H. schlägt oft die Augen nieder und wirkt wie einer, der nie den Muttertag vergißt. Und doch ist er derjenige gewesen, der Oliver Neß die brutalsten Verletzungen zufügte. Der 29jährige verdrehte den rechten Fuß des Journalisten, bis die Bänder rissen. Dafür muß der Polizist mindestens 250 Kilogramm Kraft anfgewendet haben. In seiner Aussage gleich zu Beginn des Prozesses will Oliver H. nur „zappelnde Beine“ festgehalten, irgendwann einen Schuh in der Hand gehabt haben. Ob das „die Situation Neß“ war, bezweifelt er. Das Gericht hat daran zwar keine Zweifel. Jedoch hätte der Angeklagte nicht wissen können, daß Neß zu Unrecht festgehalten wurde, so der milde Richter.

Die Verteidiger

Olaf A. hat sich den erfahrenen Polizisten-Verteidiger Walter Wellinghausen an seine Seite geholt. Listig, aber sachlich lenkt Wellinghausen seine Fragen immer wieder in eine Richtung: Kann sich ein so junger Polizist in einer so unübersichtlichen Situation wie auf dem Gänsemarkt nicht einfach unwissentlich geirrt haben? Ein ganz anderes Kaliber hat sich Oliver H. ausgesucht: Strafverteidiger Bernd Roloff. Unter den Prozeßbeobachtern gilt er schnell als einer, der zu viele Folgen der Fernsehserie „Liebling Kreuzberg“ gesehen hat. Während der für seinen Mandanten ungünstigen Zeugenaussagen runzelt er pausenlos die Stirn, stöhnt laut, schüttelt den Kopf und hält schließlich als Höhepunkt ein dramatisches Plädoyer: Herumwandern im Gerichtssaal, Demonstrieren des Tathergangs, ein flammender Appell an die Vernunft der Menschen im allgemeinen und des Gerichts im besonderen. Vergeblich. Der Richter will nicht glauben, daß Neß schon vor dem Übergriff einen Bänderriß hatte, den er der Polizei anhängen wollte.

Der Staatsanwalt

In einem kleinem Donald-Duck-Vokabelheft hat Staatsanwalt Martin Slotty seine Fragen notiert. Daß Oliver Neß ihn im Vorfeld als „Lügner“ bezeichnete, trägt er mit Fassung. Der Eindruck, daß er nicht mit überschäumendem Eifer ermittelt, gebohrt und nachgefragt hat, läßt sich auch während des Verfahrens nicht entkräften. Mit geschlossenen Augen verfolgt er viele Aussagen, Fragen hat er selten. Nur einmal wird er richtig lebhaft: Als ein Polizeizeuge einen Polizeigriff demonstrieren soll, legt sich der weißhaarige Herr dafür sogar auf den Tisch. „Autsch, es hat geknackt“, sagt er dann. Eher ein Punkt für die Verteidigung.

Der Anwalt

Ihm entgeht nichts: Rechtsanwalt Martin Lemke, der zusammen mit zwei weiteren Anwälten Nebenkläger Oliver Neß vertritt, nimmt die Polizei-Zeugen nach allen Regeln der Vernehmungskunst auseinander. Keiner , der nach Lemkes Befragung mit seinen Gedächtnislücken und Ausreden nicht ziemlich unglaubwürdig dasteht. Erst Lemkes Fragen machen deutlich, daß die Polizeiberichte manipuliert, rückdatiert, abgestimmt und mit Filmmaterial in Einklang gebracht wurden. Lemke ist es, der dem am Übergriff beteiligten aber nicht angeklagten Polizisten Ralf M. den Ausspruch, er habe „Alzheimer light“, entlockt.

Das Opfer

Wut und Ohnmacht kann Oliver Neß nur mit Mühe verbergen, als er mit den beiden angeklagten Polizisten im Gerichtssaal sitzt. Schon vor dem Prozeß ist ihm klar, daß es kein faires Verfahren geben kann. Dazu hätte die Staatsanwaltschaft besser ermitteln müssen, statt der Polizei Gelegenheit zur Verschleierung zu geben. Fair, das heißt für Neß die Anerkennung seiner Racheakttheorie. Zwar sind die beiden Angeklagten auch nach seiner Auffassung Täter, aber nicht die Drahtzieher der Mißhandlung. Das waren Zivilbeamte des Einsatzzugs Mitte, die sich zuerst auf ihn stürzten und über Funk andere Polizisten mobilisierten. Beweisen kann Neß einen Komplott nicht. Lange war er sich hundertprozentig sicher, daß der Beamte Andreas V. ihm mit der Faust ins Gesicht schlug und prangerte ihn dafür öffentlich an. Vor Gericht nimmt er seine Aussage zurück.

Der Richter

Gelassen und nie ungehalten führt der Vorsitzende Richter Ulf Brüchner die Beteiligten durch das Verfahren. Was in dem Unparteischen vorgeht, läßt er sich nicht anmerken. In seiner Urteilsbegründung spart er nicht mit Kritik an dem verfehlten Einsatzkonzept der Polizei auf dem Gänsemarkt, an „Abwehr und Mauern“ und einem unseligen „Korpsgeist“ bei den Polizeizeugen. Doch letztlich folgt er in seinem Urteil der Version der Ordnungshüter: Die Mißhandlung des Journalisten war kein Vorsatz, sondern die Tat von unerfahrenen und ungeschickten Polizisten, die bei einem schwierigen Einsatz versagt haben. Die Akte Oliver Neß ist geschlossen.

Weitere Berichte und Kommentar S. 1, 4, 10

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