piwik no script img

„Nicht die netteste Person“

Auf dem Weg zum siebten Wimbledon-Titel muß Steffi Grafs Kopf wieder einmal versuchen, den Körper zum Mitmachen zu überreden  ■ Aus Wimbledon Peter Unfried

Denke keiner, daß sich in Wimbledon nie etwas ändert. Manche Dinge sind heute ganz anders als gestern. „Unglücklicherweise ändern sich die Zeiten“, nennt Boris Becker das. Die Erdbeeren etwa gibt es jetzt nicht mehr allein mit Cream, sondern auch mit Yoghurt. Auch Pizza steht erstmals auf dem Speiseplan. Dafür hat man im Zeichen der industriellen Revolution die Netzrichter abgeschafft und durch Maschinen ersetzt.

Was Becker allerdings traurig stimmt, ist der nahende Abschied von Court Number 1. In anderthalb Wochen wird das architektonisch umstrittene, aber historische Bauwerk (72) tot sein. Der Nachfolger steht ein paar hundert Meter weiter schon bereit: Ein gewaltiger Multizweckkomplex mit Schnick, Restaurants und Schnack.

Offiziell heißt es zwar: Die „Gartenpartyatmosphäre“ werde bleiben, doch auch Steffi Graf ist aufgefallen, daß das neue Bauwerk da steht, wo vorher „die Wiese war, wo die Leute sich hinsetzen konnten“. Ein Stück Wiese gibt es immer noch, da hat man – moderne Zeiten aber auch – einen großen Monitor hingestellt, dabei aber, sagt Graf, „nicht berechnet, daß die Leute nichts erkennen können, wenn die Sonne draufscheint“.

Es ist nicht so, daß Steffi Graf keine anderen Probleme hätte. In Eastbourne hatte sie letzte Woche absagen müssen, nach Wimbledon war sie mal wieder als kranke Frau gekommen. Ein Schritt, ein Schmerz: Diesmal ist es die Patellasehne im linken Knie. Vor ihrem dienstäglichen Erstrundenspiel hatte sie, abgesehen vom letzten Fitneßtest, „in neun Tagen nur einmal trainiert“. Wer ihr übliches Pensum kennt, weiß, was das heißt. Dann hat sie es, wie sie sagt, „gezwungen“, ging raus auf den Centre Court und schlug die Tschechin Ludmila Richterova in 53 Minuten 6:4, 6:1.

Steffi Graf, gerade 27 geworden, ist inzwischen (neben Novotna) die älteste der 16 Topgesetzten. Man kann nicht unbedingt sagen, daß sie bereits gerüstet sei, für ihren siebten Wimbledon-Sieg. Die Umstellungsphase von Sand auf Rasen hat sie zu großen Teilen vor dem Fernseher verbracht. „Ich habe noch nie soviel Fußball gesehen“, sagt sie.

Nun findet auch Graf heraus, was den meisten Kickern nicht unbekannt ist: „Rasen ist so kompliziert.“ Richterova war da ein willkommener Fitneßtest. Die Tschechin (Weltranglistenposition 75) schlug gut auf, machte sonst aber vorwiegend Fehler. „Ich bin froh, daß es nicht ganz so schwer war“, sagte Graf.

Noch steht sie nicht optimal, noch bewegt sie sich, wie man sich bewegt, wenn man ständig damit rechnet, daß sich im Knie Schmerz melde. Auf die Frage, ob Vorhand oder Rückhand noch ihre Schwäche sei, sagt sie: „Beide. Ich hatte keine Präferenz, wo der Ball hinkam.“

Grafs Allheilmittel heißt bekanntlich Training, und damit probiert sie es auch im Moment. „Ich weiß, daß ich schon in viele Turniere mit Problemen kam“, sagt sie, „deshalb weiß ich auch, wie ich damit umgehen muß.“ Es sieht so schlecht nicht aus: Als sie letzte Woche nicht trainieren konnte, sei sie „nicht die netteste Person“ gewesen. Als sie nach dem Erstrundensieg in den Interviewbunker kam, war sie es zweifelsfrei.

Ihre heutige Zweitrundengegnerin ist die Französin Nathalie Baudone; läuft alles wie geplant, steuert sie auf ein Viertelfinale mit Jana Novotna und ein Halbfinale mit Conchita Martinez zu. Während bei den Männern in Runde 1 bereits fünf der ersten acht Gesetzten rausgeflogen sind, geht bei den Frauen alles seinen Gang. Das ist keine Überraschung: Erwischt hat es die Grundlinienspieler. Auf Gras regiert Aufschlag und Volley-Return. Das beherrschen einige. Bei den Frauen gibt es nur Grundlinienspielerinnen.

Wimbledons Hoffnung ist natürlich ein Showdown zwischen Graf und Monica Seles. Es wäre erst der zweite nach 1992. Die Co- Nummer 1 hat in Eastbourne soeben ihren ersten Titel überhaupt auf Rasen gewonnen und dabei ihrer Meinung nach „teilweise mein bestes Tennis“ gespielt. Gestern hatte sie es in Runde 2 mit der Slowakin Studenikova zu tun.

Steffi Graf richtete sich derweil darauf ein, es sich „am Fernseher gemütlich zu machen“. Ein anderer Showdown, ein paar Meilen nördlicher in Wembley, wurde auch in Wimbledon ausgiebig thematisiert. Während sich Boris Becker forsch als „wahrscheinlich größter Fan“ der deutschen Fußballer geoutet hat, machte Steffi Graf keinen Fehler: „Ich weiß, daß das jeder gefragt wird, der in diesen Raum kommt“, sagte sie richtig gutgelaunt englischen Journalisten, die von ihr bereits das Ergebnis des gestrigen EM-Halbfinales England-Deutschland haben wollten. Wer weiß: Vielleicht ist ihre Stimmung ja heute noch besser – und sie verrät es ihnen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen