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Viele Köche, mehr Brei bei G7-Gipfel

Präsident Chirac möchte trotz der anstehenden weiteren Liberalisierung der Weltwirtschaft einige soziale Regelungen erhalten wissen. USA unter Druck wegen Entwicklungshilfe  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Die Bürger von Lyon bereiten sich seit Monaten darauf vor: Sie haben ihre Parks gesäubert. Ihr internationales Kongreßzentrum in aller Eile fertiggebaut. Ihre besten Köche zusammengetrommelt. Und ihren Schulkindern Unterrichtseinheiten über die sieben reichsten Industrienationen aufgebrummt, die heute ihren dreitägigen Gipfel in der Stadt an der Rhone beginnen.

Das Gipfelthema ist die Globalisierung und liegt damit mitten im liberalistischen Zeitgeist. Von der Arbeitslosigkeit, über die Ausgrenzung, den Drogenhandel und die Mafia sollen die Probleme behandelt werden, die den Staats- und Regierungschefs der USA, von Kanada, Japan, Großbritannien, Italien, Frankreich und Deutschland unter den Nägeln brennen. Begleitet werden die Chefs von ihren Außen-, Finanz- und Wirtschaftsministern – manche ihrer Delegationen sind mehrere hundert Mitglieder stark. Stellvertretend für Wahlkämpfer Boris Jelzin wird der russische Premierminister Viktor Tschernomyrdin gleichberechtigt an den politischen Beratungen teilnehmen.

Die Sieben erwarten für die Industrieländer in den kommenden Monaten leicht ansteigendes Wirtschaftswachstum, wobei sie den „neuen Wachstumspolen“ in Asien, Lateinamerika und in den Staaten des ehemaligen Ostblocks erhebliche Bedeutung beimessen: Nach den Berechnungen ihrer Fachleute ist das Wirtschaftswachstum global mittlerweile annähernd doppelt so hoch wie in den klassischen westlichen Industriestaaten. Die wirtschaftspolitische Erklärung des Gipfels, dessen Beschlüsse zwar nicht bindend sind, aber gleichwohl verpflichtenden Charakter haben, soll am Freitag nachmittag verabschiedet und veröffentlicht werden.

Der Gastgeber des Treffens, Jacques Chirac, hat gestern noch rasch erklärt, um was es ihm in Lyon besonders gehe: Die Hilfe für die ärmsten Länder der Welt müsse steigen. Dafür wolle er das Bewußtsein seiner Kollegen schärfen, versprach der Präsident Frankreichs, das im vergangenen Jahr seine Entwicklungshilfe um 12 Prozent reduziert hat. Die Tatsache, daß Frankreich mit jener Sparpolitik lediglich dem allgemeinen Trend der Industrienationen folgte (kleinere Länder wie die skandinavischen und die Benelux- Staaten ausgenommen), ist jedoch nicht besonders ermunternd.

Ohnehin ist die sozialpolitische Schwäche der G7 notorisch. Der Lyon vorausgegangene Beschäftigungsgipfel Anfang April in Lille hat sie wieder einmal bestätigt: Die reichen Industriestaaten waren nicht zu einer gemeinsamen Politik in der Lage, sobald sie das Gebiet der Finanzen verließen. Trotzdem haben die zahlreichen Protestveranstaltungen der vergangenen Tage gezeigt, daß gerade da besonders hohe Erwartungen an die Staatsmänner gerichtet sind. Zu der bislang größten G7-Protestdemonstration in Lyon kamen am Dienstag rund 50.000 Gewerkschafter aus ganz Frankreich. Sie verlangten Vollbeschäftigung, Garantien gegen die Arbeitsplatzverlagerung in Billiglohnländer und beschuldigten Weltbank und Weltwährungsfonds des grenzenlosen Liberalismus auf Kosten der sozial Schwachen.

Einen Gegengipfel mit dem Titel „die sieben Widerstände“ veranstalten heute in Lyon Journalisten, Juristen und Gewerkschafter aus Ländern der Dritten Welt unter dem Vorsitz des Schriftstellers Wole Soyinka. Die reichen Industriestaaten könnten nicht allein über die Zukunft der Welt verhandeln, erklären sie, und verlangen von Lyon ein globales Engagement für Menschenrechte, gegen Krieg und für eine gerechte soziale Verteilung in der ganzen Welt.

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