Milde Strafe für harten Polizeiübergriff

In der Mißhandlung des Journalisten Neß sah das Gericht keinen Vorsatz, die angeklagten Polizisten erhielten wegen Nötigung und fahrlässiger Körperverletzung Geldstrafen  ■ Aus Hamburg Silke Mertins

Erleichterung auf den Gesichtern der beiden angeklagten Polizisten Olaf A. (25) und Oliver H. (29) nach der gestrigen Urteilsverkündung: Wegen der Mißhandlung des ARD-Journalisten Oliver Neß sind sie mit einer geringen Geldstrafe davongekommen. 3.200 bzw. 4.800 Mark müssen die Beamten dafür zahlen, daß sie dem Reporter irreparable Schäden zugefügt haben. Damit blieb das Urteil weit unter den vom Staatsanwalt geforderten Strafen von 9.600 und 12.000 Mark.

Acht Verhandlungstage lang bestritten die beiden Polizisten, den 28jährigen Neß während einer Kundgebung des Vorsitzenden der Österreichischen Volkspartei, Jörg Haider, im Mai 1994 auf dem Hamburger Gänsemarkt vorsätzlich und zu Unrecht mit Schlagstock und Polizeigriffen bearbeitet zu haben. Daß der Übergriff ein Racheakt an einem polizeikritischen Journalisten war, hielten die Beschuldigten wie auch alle anderen Polizeizeugen für abwegig und absurd. Körperverletzung im Amt läge in beiden Fällen nicht vor, befand deshalb gestern das Gericht. Olaf A. sei lediglich Nötigung nachzuweisen. Zwar hätte der Beamte völlig „unverhältnismäßig“ und „rechtswidrig“ reagiert und seinen Schlagstock „verwerflich eingesetzt“. Doch ob der Ordnungshüter dem Journalisten Verletzungen zugefügt hat, sei auf dem Video- und Fotomaterial nicht zu sehen. Der Polizist habe sich wohl irrtümlicherweise gedacht: „Ach, noch ein Störer“ und sei dann von dieser Einordnung nicht mehr abzubringen gewesen. Man müsse Olaf A. auch zugute halten, daß er zur Tatzeit noch ein unerfahrener Polizist war, der schon durch das öffentliche Echo auf den Vorfall und eine aufgeschobene Versetzung bestraft sei. Auch bei dem „Fußverdreher“ Oliver H. sah das Gericht keine Veranlassung, an Vorsatz zu glauben. „Fahrlässige Körperverletzung“ lautete das Urteil. Die Fernsehbilder, die es zu dieser Szene gibt, seien zwar erschütternd: ein wehr- und widerstandslos auf dem Boden liegender Neß, dessen Lippen und Hände zittern und der plötzlich einen gellenden Schmerzensschrei ausstößt. Die Bilder des Augenblicks, in dem Neß von Polizeihand die Bänder des Fußgelenks zerfetzt werden, gingen durch die Republik. Doch nach Ansicht des Gerichts kann Oliver H. nicht gewußt haben, daß Neß rechtswidrig festgehalten wurde. Die „Fahrlässigkeit“ mit Folgen kostet den Polizisten 4.800 Mark.

„Für einen Komplott hatten wir keinerlei Anhaltspunkt“, resümierte Richter Ulf Brüchner in seiner Urteilsbegründung den allgegenwärtigen Vorwurf, man habe einem polizeikritischen Journalisten einen Denkzettel verpassen wollen. Zwar bescheinigte er den Polizeizeugen „Korpsgeist“ und kritisierte, daß „teilweise gemauert“ wurde. Doch auch Nebenkläger und Opfer Oliver Neß war nach Ansicht des Gerichts in vieler Hinsicht unglaubwürdig. Seine Aussagen seien zum Teil widersprüchlich gewesen und ließen sich durch das umfangreiche, aber lückenhafte Filmmaterial in entscheidenden Punkten nicht untermauern. Die Zeugen, die seine Version bestätigten, daß Zivilbeamte einer in Hamburg berüchtigten Sondereinheit den Übergriff initiierten, seien parteiisch gewesen. „Im Grunde gleicht das Ganze einer Wirtshausschlägerei, bei der hinterher niemand mehr genau weiß, was eigentlich passiert ist“, so der Richter. Da man bei der „Wahrheitsfindung auf nicht allzu gute Beweismittel gestoßen“ sei, müsse das Gericht im Zweifel für den Angeklagten entscheiden. „Ein maßvolles Urteil“, freute sich die Verteidigung.