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Die Nullrunde in der Sozialhilfe ist vom Tisch

■ Bund und Länder einigen sich auf eine Sozialhilfereform. Steigerungsraten fallen künftig dürftig aus. Kein doppeltes Abstandsgebot zu den unteren Lohngruppen

Bonn (dpa) – Die Regelsätze in der Sozialhilfe werden im laufenden Jahr um ein Prozent erhöht. Über die Reform der Sozialhilfe einigten sich Koalition und SPD am Mittwoch im Vermittlungsausschuß von Bundestag und Bundesrat. Nach dem Kompromiß soll die Anpassung der Regelsätze in den nächsten beiden Jahren an die Entwicklung der Renten gekoppelt werden und ab 1999 an Stand und Entwicklung von Nettoeinkommen, Verbraucherverhalten und Lebenshaltungskosten orientiert werden. Die nähere Ausgestaltung soll der Bund nach Auswertung der ersten gesamtdeutschen Verbrauchsstatistik festlegen.

Die von der Bundesregierung gewollte Verdopplung des Lohnabstandsgebots zwischen Sozialhilfe und unteren Lohngruppen auf 15 Prozent wurde im Vermittlungsausschuß gestrichen. Festgelegt wurde für die Pflegesätze in Heimen und Behindertenwerkstätten, daß sie bis Ende 1998 jährlich nicht mehr als ein Prozent in den alten und zwei Prozent in den neuen Ländern steigen dürfen. Zusätzlich zu den bisher von der Regierung geplanten Begrenzungen wird diese Deckelung auch in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe gelten. Allein dadurch würden die Kommunen um 350 Millionen Mark im Jahr entlastet und der Verzicht auf eine Nullrunde mehr als ausgeglichen, sagte Gesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) nach der Sitzung.

Seehofer äußerte sich insgesamt „sehr zufrieden“. Die Finanzgrundlagen für die Sozialhilfe würden auf viele Jahre stabilisiert. Die Kommunen würden allein bei den stationären Unterbringungen pro Jahr um eine Milliarde Mark entlastet. Der Minister hob hervor, es bleibe bei den vorgesehenen Hilfen zur Arbeit. Durch Lohnkosten- und Einarbeitungszuschüsse an Hilfeempfänger selbst oder die Arbeitgeber soll die Aufnahme einer Beschäftigung gefördert werden. Es bleibe auch dabei, daß bei Verweigerung zumutbarer Arbeit der Regelsatz um mindestens 25 Prozent gekürzt wird.

SPD-Sozialexperte Rudolf Dreßler hob hervor, daß Schwerstbehinderte, die bisher von mehreren Pflegern zu Hause versorgt werden, diese Form der Betreuung auch weiterhin beibehalten können. Nach dem Kompromiß des Vermittlungsausschusses gibt es für sie eine Bestandsschutzklausel. Künftig soll der Vorrang der ambulanten gegenüber der stationären Hilfe allerdings dann nicht gelten, wenn eine geeignete Hilfe im Heim zumutbar und die Betreuung zu Hause mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist. Das Vermittlungsergebnis soll voraussichtlich heute im Bundestag und in der kommenden Woche im Bundesrat gebilligt werden.

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