■ Verfassungsgerichtsurteil: Kindererziehung erhöht Renten
: Frauen und Mütter

Kaum sind des Kanzlers Krokodilstränen über die „besondere Belastung“, die das Sparpaket den zukünftigen Rentnerinnen auferlegt, getrocknet, wird er erneut in die Tasche greifen und mit dem Taschentuch gleich noch ein paar Milliarden zucken müssen. Die gestern bekanntgegebene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, nach der künftig Kindererziehungszeiten und gleichzeitig entrichtete Rentenbeiträge bei der Rentenberechnung addiert werden müssen, wird die Diskussion um das sogenannte „Rentenloch“ erhitzen.

Bislang galt das Prinzip, daß entweder die Kindererziehung oder die gleichzeitig geleistete (Teilzeit-)Arbeit bei der Rente angerechnet wurde – und in jedem Fall nur 75 Prozent des Durchschnittsverdienstes aller Beschäftigten. Nun macht das BVerfG, nach einer ähnlichen Beanstandung 1992, zum zweiten Mal Ernst mit der versicherungstechnischen Sichtbarmachung der Doppelbelastung vieler Mütter.

Erfreulich ist, daß diesmal insbesondere die Ärmsten unter ihnen in den Genuß einer Neuregelung kommen werden – die Alleinerziehenden und Frauen aus einkommensschwächeren Familien, die sich den „Luxus“ einer Nur-Hausfrauenexistenz nicht leisten können. Positiv sei auch vermerkt, daß ein weiteres Mal höchstrichterlich die Kindererziehung als Beitrag zur „Sicherung des Rentensystems“ honoriert wird. Das Urteil zielt in der Tendenz auf ein Alterssicherungssystem, das der absehbaren Zukunft von „(lohn)teilzeitarbeitenden GesellschaftsarbeiterInnen“ gerecht wird, wenn auch in diesem Falle wieder einmal nur den Frauen die Verantwortung für den Nachwuchs auferlegt wird und anderweitige unbezahlte Dienstleistungen unberücksichtigt bleiben.

Bis Mitte 1998 haben die Regierung und ihre Versicherungsmathematiker Zeit, sich eine neue Perfidie auszudenken, wie sich die anfallenden Kosten „neutralisieren“ lassen. Absehbar ist schon jetzt, daß bei der vom BVerfG zugestandenen „freien Ausgestaltung“ der Neuregelung die heute betroffenen, am Existenzminimum herumkrebsenden Rentnerinnen leer ausgehen werden. Diesmal sollten sie den Kanzler nicht mit Krokodilstränen davonkommen lassen. Ulrike Baureithel