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Wir stehen auf "französisch"

■ Bundesweite Gewerkschaftsproteste gegen Bonner "Sparprogramm". Arbeitgeber: Das sind politische Streiks

Bonn/Bochum (taz) – Heute will die Bonner Koalition ihr „Unrechtsprogramm mit Vollkaskoschutz für Reiche“ – so der IG-Metallvorsitzende Klaus Zwickel – im Bonner Parlament durchdrücken. Gestern gingen dagegen noch einmal weit über 100.000 Menschen überall in Deutschland auf die Straße.

Vor mehreren tausend Gewerkschaftern kündigte Zwickel in Bochum an, die deutschen Gewerkschaften würden auf die in den letzten Tagen erfolgten minimalen Korrekturen „nicht hereinfallen“ und solange „den Kampf weiterführen, bis aus Korrekturen ein soziales Reformprojekt wird“. Bundeskanzler Helmut Kohl betätige sich als „Konkursverwalter der sozialen Marktwirtschaft“ und agiere nur noch „im Auftrag und Interesse der Wirtschaftsverbände“. CDU und CSU verrieten durch ihre aktuellen Gesetzesvorhaben „ihr eigenes Leitbild von der sozialen Marktwirtschaft“ und betrieben eine Politik gegen die Mehrheit des Volkes. Deshalb müsse die Kohl-Regierung, so Zwickel, „abgelöst werden“.

Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall hatte die Proteste und Arbeitsniederlegungen schon im Vorfeld als „politische Streiks und damit rechtswidrig“ bezeichnet. Wer sich daran beteilige, nehme „arbeitsrechtliche Folgen in Kauf“. Der Chef der Arbeitgeberverbände BDA, Klaus Murmann, sagte, das Recht auf freie Meinungsäußerung, sei „keine Legitimation, politische Auseinandersetzungen mit dem Staat während der Arbeitszeit und damit auf Kosten der Betriebe zu führen“.

Trotz dieser Drohungen verließen gestern Tausende ihre Arbeitsplätze, um für eine, wie es auf einem Transparent in Bochum hieß, „Zukunft ohne Ausbeutung“ zu demonstrieren. „Wir stehen auf französisch“, skandierten Beschäftigte aus dem Bochumer Opel- Werk, „statt auf ein Bündnis für Armut.“

In Bonn zeigte sich die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer davon überzeugt, daß „die Unruhe im Zentrum unserer Gesellschaft“ solange bleiben werde, wie die „Provokation durch Koalition und Arbeitgeber“ anhalte. Die Kohl-Regierung versuche ihre Gesetze im „Eilverfahren“ durch den Bundestag zu „peitschen“. Dabei seien die vorgenommenen Änderungen lediglich ein „hilfloser Ausdruck auf die Massenproteste aus der Mitte der Gesellschaft“ – bei Beibehaltung des grundsätzlichen Kurses.

Während in Halle und Dessau gestern zur Mittagszeit die Busse stillstanden, gingen allein in Baden-Württemberg nach Gewerkschaftsangaben mehr als 50.000 Menschen auf die Straße. Für heute sind weitere Aktionen geplant. Die Gewerkschaften hätten mit ihrem Angebot für ein „Bündnis für Arbeit“ ihre Bereitschaft gezeigt, „eigene Beiträge“ im Gegenzug zum Aufbau von Arbeits- und Ausbildungsplätzen zu leisten, sagte Zwickel in Bochum. Dazu sei man auch künftig bereit, aber die jetzt eingeleitete „Systemwende hin zum Kapitalismus pur werden wir solange bekämpfen, wie es nötig ist“. Walter Jakobs

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