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Ideale sind verloren

■ Kommunistische Führung Vietnams beklagt den Moralverlust der Partei

Bangkok (taz) – „Freudig, stolz und hoffnungsvoll blicken die gesamte Partei, die gesamte Armee und unsere Landsleute, die im Ausland leben und arbeiten, ebenso wie unsere Freunde auf die Hauptstadt Hanoi“, schrieb gestern die vietnamesische Armeezeitung Quan Doi Nhan Dan. In Hanoi begann gestern der achte Parteitag der Kommunisten Vietnams mit strengen Ermahnungen an die versammelten 1.200 Delegierten. „Besonders besorgniserregend“ sei, wie „das revolutionäre Ideal bei einer nicht geringen Zahl von Parteifunktionären und Mitgliedern schwach geworden ist und ihre Integrität und Moral ins Wanken geraten sind“, beklagte Parteichef Do Muoi.

Ungewöhnlich offen griff die Parteispitze die ideologische Krise und den verbreiteten Unmut in der Bevölkerung über die verbreitete Korruption auf: Wenn die KP für die Herausforderungen der kommenden Jahre gewappnet sein wolle, müsse sie alle Zweifel am Sozialismus und an der politischen Führung beseitigen.

Bis zum kommenden Montag sollen die Delegierten die neue Parteiführung absegnen und über das politische und wirtschaftliche Programm befinden, mit dem die KP das Land bis ins nächste Jahrhundert führen will.

Wie es in dem 54 Seiten starken politischen Bericht für den Parteitag heißt, sollen die vor zehn Jahren begonnenen Reformen fortgeführt werden. Auch in den kommenden fünf Jahren soll die Wirtschaft durchschnittlich um 9 bis 10 Prozent wachsen.

Allerdings warnt der Bericht auch vor unerwünschten Folgen der ökonomischen Öffnung: „Die Marktwirtschaft enthält negative Aspekte, die mit der Natur des Sozialismus unvereinbar sind.“ Dazu gehörten unter anderem eine unakzeptabel große Kluft zwischen arm und reich und ein „Kult um Geld“, der „Moral und Würde mit Füßen tritt“.

Die Leistungsfähigkeit des staatlichen Sektors müsse gesteigert werden, fordert der Bericht. Eine Passage des Dokumentes, die vor dem Parteitag besonders bei ausländischen Investoren für Unruhe gesorgt hatte, wurde gestern jedoch nicht vorgetragen: Die ursprünglich angestrebte Erhöhung des Anteils des Staats- und Kollektivsektors am Bruttosozialprodukt von 45 auf 60 Prozent.

Obwohl das Zentralkomitee der Partei bereits vor Beginn des Kongresses die Zusammensetzung des Politbüros beschlossen hat, wird sie erst am Montag offiziell bekanntgegeben. Soviel ist jetzt schon klar: Das höchste Gremium der Partei wird neunzehn Mitglieder haben, darunter befindet sich zum ersten Mal in der 66jährigen Geschichte der KP eine Frau. Im Politbüro vertreten ist vermutlich auch die Führungstroika, die aus Parteigeneralsekretär Do Muoi, (79) Staatspräsident Le Duc Anh (75) und Premierminister Vo Van Kiet (73) besteht.

Erstmals waren zum Parteitag eine große Zahl Delegierter ausländischer Regierungsparteien geladen: Als bedeutendster Besucher kam Chinas Premier Li Peng, der warme Worte über die Zusammenarbeit mit den ehemals gegnerischen vietnamesischen Nachbarn fand. Aber auch Vertreter nicht- kommunistischer Parteien, etwa aus Malaysia und Singapur, waren willkommen. Jutta Lietsch

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