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Radikale Wende im „radikal“-Strafverfahren

■ Koblenzer Staatsanwaltschaft hob Haftbefehle gegen angebliche Redakteure auf

Hamburg (taz) – Das Strafverfahren gegen die mutmaßlichen RedakteurInnen der linksradikalen „Untergrunddruckschrift“ radikal steht vor einer sensationellen Wende. Am Donnerstag bekamen die vier Beschuldigten, die im Rahmen der bundesweiten Razzia gegen angebliche „LinksterroristInnen“ im Juni vergangenen Jahres festgenommen und anschließend ein halbes Jahr inhaftiert worden waren, überraschende Post von der Koblenzer Staatsanwaltschaft. Die bislang ausgesetzten Haftbefehle gegen sie seien, so konnten die angeblichen radikal-Macher lesen, nun endgültig aufgehoben worden. Die Kautionen in Höhe von jeweils 20.000 Mark, die die Angeschuldigten bei ihrer Haftaussetzung hinterlegen mußten, würden umgehend zurückgezahlt. Noch überraschender als die Aufhebung der Haftbefehle ist die Begründung für diesen Schritt durch den Koblenzer Oberstaatsanwalt Manfred Knieling: Der Ankläger kann nicht nur „keine Fluchtgefahr“ bei den Beschuldigten ausmachen, er kündigte gegenüber der taz sogar an, daß die vier Männer aus seiner Sicht nicht damit rechnen müssen, erneut in den Knast geschickt zu werden. Knieling wörtlich: „Sollte es zu einer Verurteilung kommen, wird die Strafe mit Sicherheit zur Bewährung ausgesetzt.“ Schließlich sei keiner der Angeklagten vorbestraft. Der Koblenzer Beschluß und die staatsanwaltschaftliche Ankündigung sind ein Affront gegen die Karlsruher Bundesanwaltschaft (BAW), die das Verfahren Anfang des Jahres nach Koblenz abgab. Unter dem Vorwurf, die vier Festgenommenen hätten als Mitglieder der „kriminellen Vereinigung“ radikal das Ziel gehabt „terroristische Vereinigungen“ der links-militanten Szene zu unterstützen, wurde das angebliche „Quartett radikal“ fast ein halbes Jahr unter verschärften Vollzugsbedingungen in Untersuchungshaft gesteckt.

Noch heute befindet sich der ebenfalls im „radikal“-Verfahren beschuldigte Kölner Frank Großkinsky, der sich nach einjähriger Flucht im Juni der Justiz stellte, auf Antrag der BAW in der JVA Karlsruhe. Kontakt zu anderen Gefangenen ist ihm nicht gestattet. Mit seiner Anwältin darf er nur durch eine Trennscheibe reden. Marco Carini

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