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Das Dilemma der SPD

■ Die Partei hat keine Alternative zum Sparpaket

Gestern hat die Koalition im Bundestag das „Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung“ weitgehend verabschiedet. Der Titel erinnert an Orwellsche Sprachverdrehungen. Denn was dort beschlossen wurde – vor allem, daß Frauen später in Rente gehen sollen –, ist Gift für den Arbeitsmarkt. Wenn die Lebensarbeitszeit verlängert wird, schrumpfen die ohnehin schlechten Chancen für die Jungen, einen Job zu bekommen.

Die Koalition macht beim Sparpaket durchaus keinen souveränen Eindruck. Doch die Opposition ist zu schwach, daraus Kapital zu schlagen. Deshalb gelingt es nicht, die gesellschaftliche Mehrheit gegen dieses Sparpaket in eine politische zu verwandeln. Das liegt vor allem an der SPD.

Das Dilemma der SPD hat zwei Gründe. Sie kann schlecht im Bundestag gegen Kohls Sparpolitik agitieren und gleichzeitig in den Ländern ähnlich rabiat sparen. Das ist eine mißliche Lage, denn die Länder können die Grundzüge der monetären Politik nicht ändern. Diesen Widerspruch muß die SPD austarieren, lösen kann sie ihn nicht. Zweitens: Ihr fehlt das Konzept.

Dies könnte wohl nur so aussehen: Umbau des Sozialstaats plus staatliche Konjunkturankurbelung. Also nicht sparen, sondern antizyklische Neuverschuldung, bis die wirtschaftliche Lage sich ein wenig entspannt hat. Gewiß, diese keynesianische Lösung verliert angesichts globalisierter Märkte an Kraft. Aber derzeit würde sie Sinn machen. Denn die Konjunkturschwäche fußt auf mangelnder Binnennachfrage, die jetzt noch verschärft wird.

Eine erhöhte Neuverschuldung kann nur kurzfristig sein. Keine Illusionen: Auch dann würde die SPD bei der Reform des Sozialsystems hier und dort gegen ihre eigene Klientel handeln müssen. Diese Neuverschuldung würde mehr Inflation bedeuten – und damit die Verschiebung oder Änderung von Maastricht. Dieser Kurs würde somit viel Geschick erfordern, zumal Inflation im deutschen Kollektivbewußtsein als Chiffre historischer Katastrophen gilt. Vor allem müßte dabei jede populistische Anti-EU-Anwandlung vermieden werden. Schwierig, vielleicht sogar gefährlich, wenn man an Lafontaines Neigung zum Volkstümeln denkt. Aber es wäre eine Alternative. Die einzige, die sich nicht im rhetorischen Anti erschöpft. Stefan Reinecke

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