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Wie kommt der Daimler in die Kiste?

■ 6000 Einzelteile eines Autos ordnet die BLG im Außenhandelszentrum zu Bausätzen für die Montage in Übersee von Joachim Fahrun

Sorgfalt ist angebracht in den weiten Hallen des Außenhandelszentrums (AHZ) in Woltmershausen. Sechs Schrauben gehören ins Plastiktütchen, sechs Dichtungsringe in ein anderes. Darauf müssen die Frauen an den Packtischen achten. Eine fehlende Schraube kann alles durcheinanderbringen in Mexiko.

Wenn die original Daimler-Schraube fehlt, kann die Nobelkarosse nicht zusammengebaut werden. Dann muß manchmal sogar ein Mitarbeiter der Bremer Lagerhaus Gesellschaft (BLG) ins Flugzeug steigen, um das gute Stück persönlich vorbeizubringen. Denn die BLG packt in ihrem Außenhandelszentrum im Oberviehland für Mercedes montagefertige Auto-Bausätze zusammen und sendet sie per Container nach Mexiko, Süd-afrika, Indonesien und in die Phillippinen.

Fast 30.000 Autos der C-Klasse, von denen jedes aus 6.000 unterschiedlichen Bauteilen besteht, gehen „Completely knocked down“ (CKD), zu deutsch etwa „völlig zerlegt“, über Bremerhaven in die Tochterwerke des schwäbischen Weltkonzerns. Damit nutzt Mercedes die billigeren Montagearbeiter und spart die teilweise hohen Einfuhrzölle auf fertige Autos.

Die Aufgabe, die 300 BLG-Beschäftigte im AHZ auf der Basis eines Fünfjahresvertrages seit Ende 1993 für Mercedes erledigen, klingt erstmal ganz einfach. Allerdings hat Mexiko andere technische Möglichkeiten als Thailand. So werden etwa nach Mexiko und in die Philippinen komplette Karosserien geliefert, weil in den dortigen Mercedes-Fabriken nicht geschweißt werden kann.

Die Zollgesetze von Südafrika verlangen einen anderen Anteil von heimischer Arbeit und Zuliefer-Produkten wie Reifen, Scheiben oder Batterien („local content“) als die Vorschriften in Indonesien. Darum muß jeder Container genau nach Bedarf gepackt werden. Zu allem Überfluß ändern sich die Regeln und Bedingungen in den Empfängerländern nicht selten. Auch die Menge der georderten Fahrzeuge kann schwanken. Wenn es personell eng wird, werden Reservearbeiter vom Gesamthafenbetriebsverein angefordert. „Jeder Monat ist anders“, sagt Heiko Backenköhler, Distributions- und Lagerungsexperte der BLG.

10.000 bis 20.000 Aufträge von Mercedes muß das EDV-System des AHZ jeden Monat bearbeiten, je nach Auftragslage und „local content“-Grad des Empfängerlandes. Dann gilt etwa: Keine Teppiche in die Kiste für Südafrika, die stellen sie dort selber her. So manche fertig gepackte Kiste reißen die Kontrolleure wieder auf. Denn fehlende Teile nachzuliefern ist allemal teurer als auch die sorgfältigste Kontrolle. Bei den verpackten Mengen kann man sich auch Großzügigkeit nicht leisten: Zuviel beigelegte Teile summieren sich zu hohen Kosten und bringen zusätzliches Frachtgewicht.

Jedes Teil, das mit dem Pendelzug aus dem Bremer Mercedeswerk, aus dem Sindelfinger Werk oder per LKW von Zulieferern eingeht, wird mit einem computerlesbaren Code gespeichert, erläutert Backenköhler. Nur selten müssen die Mitarbeiter auf die Stellwände blicken, wo Muster von Rohrleitungen, oder Armaturenbretter aus Holz hängen. Zur Ansicht, falls mal ein Teil nicht sofort zugeordnet werden kann. Der Computer weiß genau, in welchem der mit gelben Stichen auf dem Boden aufgezeichneten Lagerbereiche oder auf welchem Hochregalbrett die Gabelstapler die Ladung abgestellt haben. Inzwischen hat der Datenfunk Einzug gehalten in den Hallen des AHZ. Die Codes werden direkt an den großen Regalen mit einem tragbaren Scanner abgelesen und per Funk an den Zentralrechner übermittelt. Der Computer bestimmt dann genau, welcher Posten als erstes raus muß, weil die Schiffe zur Abfahrt bereit liegen. 600 Container mit Mercedes-Bauteilen gehen in einem normalen Monat nach Bremerhaven.

Damit nicht der Rost die silbrigen Karosserieteile in ihren eigens nach Bedarf im AHZ zusammengezimmerten Holzkisten während der bis zu dreiwöchigen Seereise anfrißt, werden Auspuffe, Türen und Unterböden bis zu 24 Stunden in der auf 18 Grad geheizten Vorwärmhalle getrocknet. Später durchlaufen sie die Chemie-Dusche in der Konservierungsanlage und werden dort mit Rostschutz für ein halbes Jahr versehen. „Für die heimische Produktion brauchen Sie das nicht zu machen, weil die Teile ja schnell lackiert und zusammengebaut werden“, sagt Backenköhler.

Mit solchen Dienstleistungen der Distribution und Produktveredelung verdient die defizitäre BLG noch Geld, während sie im Stückgutumschlag und auch im Containerverkehr Verluste einfährt. Die BLG profitiert vom Trend des „Outsourcing“: Unternehmen geben Arbeiten, die nicht zu ihrem direkten Geschäftsfeld gehören, an spezialisierte Dienstleister ab. Das Außenhandelszentrum boomt, obwohl auch zeitweise weite Flächen leerstehen. Nicht nur Auto-Bausätze werden hier gelagert und verteilt. Neben den Mercedes-Türen stehen CD-Player aus Korea neben Turnschuhen aus Indien. In den kommenden Jahren soll die Distributionsfläche der blauen Hallen und der dazugehörigen Containerlagerplätzen von heute 165.000 Quadratmetern auf das Doppelte erweitert werden. Schon haben sich die Bagger in die anliegenden Wiesen hineingefressen. Denn in der zunehmenden weltweiten Arbeitsteilung, so kalkuliert man bei der BLG, werden die Dienstleistungen der Verpackungs- und Verteilungsexperten weiter gefragt sein.

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