Debatte: Aussitzen nach Bremer Art
■ Ein Jahr schwarz-rote Koalition: Desinteresse prägt die Politik der neuen Kultursenatorin. Eine Bilanz von Thomas Wolff
Gerade in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit müßten die Kulturetats der Länder erhöht werden, tönte es auf einer kulturpolitischen Diskussion im Bremer Theater am Jahresanfang. Theater und Museen seien nämlich erstens „harte Standortfaktoren“, sprich: gut fürs Geschäft. Und zweitens förderten sie Kreativität, Phantasie und Mut zum Risiko. Das sind mal starke Worte. Allein: Sie kamen nicht aus dem Munde eines Bremer Kulturpolitikers, sondern von Lothar Späth, Baden-Württembergs Ex-Ministerpräsident mit einem Händchen fürs Wirtschaftliche. Die Kollegen vom Bremer Senat ließen kein vergleichbar klares Bekenntnis folgen. Wie auch: Die amtierende Kultursenatorin Bringfriede Kahrs (SPD) glänzte durch Abwesenheit.
Solche Sprachlosigkeit ist symptomatisch für die bisherige Amtsführung von Kahrs. Wenn man jetzt, ein Jahr nach ihrer Vereidigung als Senatorin, Bilanz zieht, stößt man auf erschreckend wenige Aussagen, die sie überhaupt zur Bremer Kulturpolitik gemacht hat und deren Einhaltung sich überprüfen ließe. Dahinter steckt allerdings nicht Ahnungslosigkeit, sondern ein perfides System. Kahrs' Schweigen ist die Bremer Schmalspur-Version dessen, was auf Bonner Ebene seit nunmehr über einem Jahrzehnt als „Aussitzen“ praktiziert wird – mit Erfolg. Eine prima Idee: Dort, wo man sich stur heraushält, können später auch keine Ansprüche geltend gemacht werden.
Forsche Forderungen wie die von Lothar Späth unterließ Kahrs schon zu Beginn ihrer Amtszeit. Nur Allgemeinstes ließ sie sich abringen. Selbst das vermochte sie großteils nicht einzulösen.
Die Erhöhung des Kultur-Eckwerts im Bremer Gesamthaushalt gehörte zu den wenigen Zielen der Senatorin. Dafür, erklärte sie in ihrem ersten Interview, wollte sie sich stark machen. Sie hat es versucht. Durchsetzen konnte sie sich nicht. Die Folge: Kürzungen ohne Ende, von der bunten „Lagerhaus“-Kultur bis zur Förderung Neuer Musik. Kahrs läßt es geschehen, schulterzuckend. Monat für Monat drückt der Finanzsenator den Ressorts neue Sparquoten auf – Kahrs gibt den Druck direkt an die Kultureinrichtungen weiter, ohne Widerworte an die Senatskollegen. Nur einmal begehrte sie zaghaft auf: Da formulierte sie, die sogenannte „Giftliste“ des Finanzsenators sei „nicht auskömmlich“. Das ist mal kräftiger Gegenwind.
„Gesprächsangebote“ statt klarer Zusagen
Statt einer Erhöhung des Etats erwirkte Kahrs allerdings einen kurzfristigen Zuschuß vom Wirtschaftssenator, den sie vom Mehrwert der Kultur überzeugen konnte – so scheint es auf den ersten Blick. Fast 10 Millionen Mark extra stehen der Kulturförderung aus dem WAP-Fonds (Wirtschaftspolitisches Aktionsprogramm des Senats) zur Verfügung. Wirklich extra? Nein; auch dieser vermeintliche Bonus ist nur Teil einer Milchmädchenrechnung.
Zum einen wurden viele Kulturereignisse, die jetzt aus dem WAP bezuschußt werden, ohnedies schon vom Wirtschaftssenator unterstützt. Keine zusätzlichen Subventionen also. Vor allem aber wurden viele Posten einfach aus dem festen Kulturhaushalt in das WAP umgetopft – unter anderem ein Teil der fixen Kosten für das Überseemuseum. Umgekehrt bedeutet das: Sollte der Wirtschaftssenator sein Geld mal wieder anderweitig benötigen – die derzeitige Verabredung gilt nur bis 1997 – dann müssen die Millionenposten wieder in den weiter schrumpfenden Haushalt der Kultursenatorin zurückgewuchtet werden. Das ginge freilich nur, wenn der Kultur-Eckwert erhöht wird. Aber der müßte erst mal gefordert werden. Doch die einzige, die derzeit für Bremens Kultur auf politischer Ebene streitet und für eine dauerhafte Anhebung der Kulturfinanzen spricht – ist wiederum nicht die Senatorin, sondern die SPD-Kulturexpertin Carmen Emigholz. Im Ressort selbst wird weiter ausgesessen und planvoll geschwiegen.
So ist auch dieser einzige Erfolg, den sich die Senatorin anrechnen könnte, ein Fall von Augenwischerei. Damit steht sie freilich in bester SPD-Tradition: Die WAP-Wackelkonstruktion ist nur die Fortsetzung jener elenden Provisorien, mit denen schon zu Zeiten des Kultursenators Horst-Werner Franke die Bremer Kultur finanziert wurde, von ABM-Jahr zu ABM-Jahr.
Weiter: Was wurde noch versprochen? „Der Schwerpunkt unserer Kulturpolitik besteht darin, Attraktivität und Leistungsfähigkeit der vorhandenen Einrichtungen (insbesondere auch von überregionaler Bedeutung) zu erhalten bzw. wiederherzustellen.“ So steht's in den Vereinbarungen der rot-schwarzen Regierungskoalition. Aber so handelte gerade die Kultursenatorin nicht.
Im Gegenteil. Mit dem erbärmlichen Gezerre um die Zuwendungen an das Bremer Theater gefährdete sie die „Attraktivität und Leistungsfähigkeit“ einer der wichtigsten Kultureinrichtungen der Stadt. Nochmals 3,5 Millionen Mark sollte das Haus sparen, so die Forderung von Kahrs, kaum ein halbes Jahr nach ihrem Amtsantritt. Kein unsittliches Ansinnen, könnte man meinen. Sparen müssen alle. Allein: Das Theater ist bereits kräftig am kürzen. Jährlich will man am Goetheplatz mit 2,2 Millionen Mark weniger Subventionen auskommen – im Gegenzug kann Intendant Klaus Pierwoß über fünf Jahre mit einem festen, unkürzbaren Zuschuß rechnen. So sieht es der Vertrag zwischen dem Theater und der Stadt vor. Kahrs kannte die Abmachung – und ignorierte sie.
Was folgte, war ein Theaterkrach, der die Republik aufschreckte wie zuletzt nur die Schließung des Berliner Schiller-Theaters. In diesem Krach erwies sich Kahrs nicht etwa als kluge Streiterin. Sachliche Argumente blieb sie schuldig; das Verhandeln ließ sie andere besorgen. Selbst die bis dahin blasse CDU-Kulturexpertin Elisabeth Motschmann zeigte mehr Profil in dieser Auseinandersetzung als die von Amts wegen beauftragte Kulturdame. Kahrs brillierte vor allem als ungeschickte und unsichere Taktiererin. Mit dem „Aussitzen“ war es diesmal freilich nichts. Zu stark war der Gegenwind, den die Theaterleute entfacht hatten. Blieb Kahrs nur der Rückzug in den Schmollwinkel. Statt starker Rhetorik nur kleinlautes Geplärre: Die Empörung der Theaterleute versuchte Kahrs als „polemischen Theaterdonner“ herunterzureden. Bis zuletzt, als sie längst geschlagen war und die Kürzung zurückgenommen, mochte sie ihren versuchten Vertragsbruch nicht öffentlich eingestehen. Der Vertrag sei ja, so wand sie sich, „dem Geiste nach erfüllt“, wenn schon nicht dem Wortlaut nach. Ihr miserabler Verhandlungsstil hatte schließlich auch personelle Konsequenzen – leider nicht an der Ressortspitze. Rolf Rempe, Verwaltungsdirektor des Bremer Theaters, bat entnervt um seinen Rücktritt.
Nicht auf der Seite der Kulturschaffenden
Damit hat sich auch jenes Versprechen als windig erwiesen, das Kahrs in ihrer bisherigen Amtszeit am häufigsten abgab. Immer wieder gab sie vor, „Gesprächsangebote“ zu machen, an alle und jeden. Doch die vorgebliche Offenheit gehörte ebenfalls zur Hinhalte-Taktik der neuen Kulturspitze. Über ein halbes Jahr lang mußte mancher Museumsleiter, mancher Vorstand auf das Antrittsgespräch der Senatorin warten. Was dann meist wenig mehr ergab als das Versprechen auf weitere Gesprächsangebote. Vor handfesten Zusagen hütet sich diese Senatorin. Und weil auch der Draht zur eigenen Kulturbehörde, immerhin 150 Meter Luftlinie vom senatorischen Amtszimmer entfernt, nicht der beste ist, können auch die Kahrs' schen Fachreferenten den Bremer Kulturschaffenden nichts Genaues sagen. Äußerst praktisch, sowas.
Stillosigkeit, Unfähigkeit zum Dialog, mangelndes Durchsetzungsvermögen – es ist ein Bild des Jammers, das diese Kultursenatorin nach nur einem Jahr bietet. Nun gut, können bremenerfahrene Zyniker jetzt einwenden – in diesem Senat stehen ja noch ganz andere Jammergestalten in Lohn und Brot. Wie miserabel die Bremer Kulturspitze wirklich ist, wird allerdings im Vergleich mit dem Personal anderer Kommunen und Länder deutlich. Christina Weiß in Hamburg, Kathinka Dittrich in Köln – sie setzen sicherlich nicht nur Glanzlichter, aber sie haben Kahrs eines voraus: Sie sind ganz auf der Seite der Kultur. Und willens, dafür zu streiten.
Selbst Linda Reisch, glücklose Nachfolgerin des kulturpolitischen SPD-Übervaters Hilmar Hoffmann im Frankfurter Kulturdezernat, bewies dieser Tage mehr Charakterstärke als ihre Bremer Amtskollegin. Auch in Frankfurt wird am Theater kräftig herumgestrichen. Doch hier geht die Sparattacke von der Oberbürgermeisterin aus – und Reisch verteidigt das Theater nach Kräften. Nichts Geringeres darf man von einer Senatorin erwarten. Kahrs blieb nicht nur diese Selbstverständlichkeit schuldig, sondern jegliches Interesse an Kultur.
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