: Ein Schiffsarzt im Spanischen Bürgerkrieg
■ Jahrzehnte verschollen: Theodor Balks Tagebuch über die Kämpfe vor 60 Jahren
Die Zahl der Bücher über den Spanischen Bürgerkrieg ist Legion. Erinnert sei nur an Willi Bredels „Begegnung am Ebro“, Rudolf Leonhards „Der Tod des Don Quijote“, Ludwig Renns „Der spanische Krieg“, Erich Weinerts „Cameradas“, nicht zuletzt Ernest Hemingways „Wem die Stunde schlägt“ sowie George Orwells „Homage to Catalonia“. Romane, Erzählungen, autobiographische Berichte, geschrieben von Teilnehmern des Bürgerkrieges, Freiwilligen der Internationalen Brigaden.
Sechzig Jahre nach den Ereignissen liegt nun unter dem Titel „Wen die Kugel vor Madrid nicht traf“ ein weiteres Buch vor, ein „Tagebuch-Roman über den Spanischen Bürgerkrieg und das Los der Spanienkämpfer“, wie es im Untertitel heißt.
Das Buch erscheint posthum. Sein Verfasser Theodor Balk starb 1974. Theodor Balk ist das Pseudonym des im September 1900 in der Nähe Belgrads geborenen Dragutin Fodor, der nach dem Studium Kassen-, später Schiffsarzt wurde. Schon sein erstes Buch, „Medizin und Gesellschaft“, war ein Protest gegen die soziale Ungerechtigkeit; die Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei war für ihn nur konsequent.
Der in Berlin lebende Balk wurde 1929 Redakteur der Zeitschrift Die Linkskurve und Mitarbeiter der Roten Fahne. Beeinflußt durch den „rasenden Reporter“ und späteren Freund Egon Erwin Kisch, veröffentlichte er seine Reportagen „Baumwolle“ und „Stickstoff“.
1933 emigrierte er in die Tschechoslowakei, dann nach Paris und Saarbrücken. Nach umfangreichen Recherchen und zahlreichen Gesprächen erschien 1934 sein Buch „Hier spricht die Saar. Ein Land wird interviewt“, ein Protest gegen die Rückgliederung des Saarlandes an das nationalsozialistische Deutschland. Im Januar 1937 fuhr Balk nach Spanien, wurde Bataillonsarzt der französischen 14. Brigade „La Marseillaise“. Nach dem Fall Barcelonas und der Auflösung der Internationalen Brigaden in den Lagern Le Vernet und Rieucros interniert, gelang Balk 1941 die Ausreise nach Mexiko. Er wurde Mitbegründer des Exilverlages „El libro libre“ und Mitarbeiter der Zeitschrift Freies Deutschland.
Zwar erschien schon 1937 in Madrid das vom „Hauptmann mit der Hornbrille“ zusammengestellte Brigadetagebuch „La Quatorzième“, ein Bericht von der Fahrt der Freiwiligen nach Spanien, des Kriegsalltags und den Kämpfen. Doch Theodors Balks eigene Tagebuchaufzeichnungen gingen verloren – bis sie 25 Jahre später wiedergefunden wurden.
Balk, aus dem Exil in Mexiko zuerst nach Jugoslawien zurückgekehrt, lebte seit 1948 in Prag. Als die Tagebücher unerwartet wiederauftauchten, inszenierte man in Prag gerade den Schauprozeß gegen Rudolf Slánsky. Es wäre ein leichtes gewesen, Balk, dem man „trotzkistische und verräterische Tätigkeit“ vorwarf, durch Zitate aus seinem Tagebuch zu verurteilen. Um ihn zu schüzten, händigte ein Freund ihm die verloren geglaubten Aufzeichnungen erst später aus.
Balk verzichtete in seinem Buch auf eine strenge Chronologie, umrahmt die Auszüge aus den Tagebüchern mit der Geschichte ihrer Entdeckung und den Reflexionen über das Schicksal der ehemaligen Spanienkämpfer. Das Buch ist also vielmehr „eine Montage aus Vergangenheit und Gegenwart..., ein Versuch, in der Vergangenheit die Spuren der Gegenwart freizulegen und mit dem Gegenwartsmaßstab die Vergangenheit auszuloten“.
Theodor Balk entsprach nach den Worten seiner Frau keineswegs dem „Bild eines konsequenten Revolutionärs“. Im Tagebuch nennt er als ein Motiv für sein Engagement in Spanien „nicht Lust zum Kampf, eher Unlust am Leben“. Dieser Mann, „ein Skeptiker, ein Zögerer, ein vor allem an sich selbst Zweifelnder“, unternimmt in seinem Anfang der siebziger Jahre begonnenen Tagebuch-Roman den wenngleich auch zögerlichen Versuch der Selbstbefragung. Kurz nachdem der „Prager Frühling“ durch die Militärintervention des Warschauer Pakts beendet wurde.
Dieser immer wieder von neuem heimatlose Schriftsteller hatte seinen schon im Exil erschienenen Lebenserinnerungen den Titel „Das verlorene Manuskript“ gegeben. Sein wiedergefundenes Manuskript aus dem Spanischen Bürgerkrieg bildete die Grundlage für die Nachdenklichkeiten des Zeitzeugen Theodor Balk. Wilfried Weinke
Theodor Balk: „Wen die Kugel vor Madrid nicht traf. Tagebuch- Roman über den Spanischen Bürgerkrieg und das Los der Spanienkämpfer“. Röhrig Verlag, St. Ingbert 1996, 220 Seiten, 35 DM
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