: „Wir waren mit vier Männern dabei“
Prozeß gegen Monika Böttcher wegen Mordes an ihren Töchtern soll ausgesetzt werden. Ermittelnde Beamte ließen die Angeklagte vor neun Jahren völlig im unklaren über ihre Situation ■ Aus Gießen Heide Platen
Strate fleht nicht, er bittet nicht um Gnade für die Frau, die im Januar 1988 wegen der Ermordung ihrer beiden Töchter Melanie (7) und Karola (5) zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. Der renommierte Revisionsanwalt hat für seine Mandantin Monika Böttcher die Wiederaufnahme erstritten. Jetzt nimmt er vor dem Landgericht Gießen die Zeugen – damals Ermittlungsbeamte, Staatsanwälte, Haftrichter im Mordfall Weimar – auseinander.
Er seziert ihre Aussagen, ihre Ermittlungsmethoden auf deren materiellen Gehalt, auf Rechtsstaatlichkeit. Übrig bleibt der Blick auf einen Scherbenhaufen, angerichtet von betroffenen, auch durchaus gutwilligen ErmittlungsbeamtInnen, denen der objektive Auftrag aus dem Kopf ins unausgelotete Gefühl geraten war und die sich darüber heillos zerstritten hatten.
Sie wollten, sagt der pensionierte Kriminalhauptkommissar Kaufmann, die ihm „von der ersten Stunde an“ verdächtige Frau überführen. Staatsanwalt Raimund Sauter, der das Belastungsmaterial damals als „nicht ausreichend“ bezeichnete, wurde intern gemobbt und abgelöst. Ermittlungsbeamter Günter Küllmer ist noch heute empört: „Der Herr Sauter hatte mir auch keinerlei Anweisungen zu erteilen. Für mich war sie die Beschuldigte!“
In diesem Verfahren geht es vorerst nicht um Schuld und Sühne, sondern um die Rechte von Beschuldigten. Beschuldigte, sagt die Strafprozeßordnung, müssen vor ihrer Vernehmung dem Gesetz entsprechend belehrt werden. Sie genießen besonderen Schutz, auch vor sich selbst. Sie haben das Recht auf Verteidigung, auch darauf, zu schweigen oder zu lügen.
Zeugen dagegen werden darüber belehrt, daß sie aussagen müssen und nichts verschweigen dürfen, es sei denn, sie belasten sich selbst oder nahe Angehörige. Unwahrheiten sind mit Strafe bedroht.
Die Kriminalpolizei in Bad Hersfeld hat Monika Böttcher gleich nach dem Verschwinden der beiden Mädchen am 4. August 1986 als Täterin in Verdacht gehabt. Schon bei seinen Ermittlungen einen Tag später – vor einer großen Suchaktion durch Bundesgrenzschutz und Polizei mit Hubschraubern und Hunden – hätte er vom zerrütteten Zustand der Ehe gewußt, sagt Hauptkommissar Kaufmann. Schon damals sei er von Ehemann Reinhard Weimar ausgiebig informiert worden: „Der war den ganzen Tag immer überall dabei.“
Der Mann hätte ihm vom Liebhaber seiner Frau, dem amerikanischen Soldaten Kevin P., erzählt. Mehrmals hätte er gesagt, daß „hier was nicht stimmen kann“. Kaufmann wäre, erinnert er sich, anfangs davon ausgegangen, die Frau hätte die Kinder versteckt, weil ihr Mann bei einer Scheidung Anspruch auf die jüngere Tochter erheben wollte.
Monika Böttcher hätte damals aber immer wieder nur gesagt: „Ich hab' sie doch nicht!“ Er hätte der Frau zu einem Rechtsanwalt geraten, weil „ich das Gefühl gehabt habe, sie braucht einen“. Schon damals hätte er darüber einen Vermerk angefertigt. Die Kinder sind am 7. August, wenige Kilometer vom Elternhaus entfernt, tot aufgefunden worden, erwürgt und erstickt.
Die BeamtInnen waren danach wochenlang im Hause Weimar ein und aus gegangen, hatten die Frau abgeholt, gebracht, immer wieder als Zeugin vernommen, sich im Wohnzimmer gedrängt, als wäre das selbstverständlich. Beamtin Kühlewind trotzig: „Es hat uns ja auch keiner gesagt, daß wir gehen sollen.“ Sie hätten die Frau als Zeugin belehrt – haben sie aber dann als Beschuldigte regelrecht in die Mangel genommen. Das, ließ der Vorsitzende Richter Weller inzwischen wissen, zieht auch das Gericht nicht mehr in Zweifel.
Monika Böttcher ist dabei von der Polizei behandelt worden wie ein ungezogenes Kind und hat sich – in Wechselwirkung – offenbar auch selbst infantilisiert. Kommissar Kaufmann macht das anschaulich. Immer wieder verwendet er die dazu passenden Wörter: „beigebracht“ ist ihr worden, „eingesehen“ hat sie. Und sie hat sich gewunden, gelogen. „Wahrheitsliebe“ aber, so Strate, „ist strafrechtlich nicht relevant“.
Monika Böttcher beschuldigte am Nachmittag des 28. August zum ersten Mal ihren Mann der Tat. Sie hätte bisher gelogen, weil sie ihm gegenüber Schuldgefühle gehabt habe. Die BeamtInnen reden noch heute davon, daß die Angeklagte ihren Ehemann „regelrecht gehaßt habe“. Zitiert aber haben sie Monika Böttcher damals anders: „Ich habe alles auf mein Verhalten zurückgeführt. Ich hatte auch Mitleid mit meinem Ehemann.“
Von da an nahm das Ermittlungsverfahren einen seltsamen Lauf. Es sei ein „Wandel“ eingetreten, sagt Ermittler Küllmer. Monika Böttcher wurde an diesem und am nächsten Tag als Beschuldigte belehrt und vernommen worden. Oder eben doch nicht. Im Protokoll fehlt eines komplett: der Tatvorwurf. Statt dessen ist die Rede davon, daß „Widersprüche“ und „Ungereimtheiten“ ausgeräumt werden sollten.
Der von Küllmer erinnerte „Wandel“ kam unter Umständen zustande, die auch auf Oberstaatsanwalt Böscher „befremdend“ wirken, die er „einen Fehler“ nennt. Monika Böttcher hatte versucht, das Zersplittern der Windschutzscheibe des Familienautos mit einem Steinschlag von außen zu erklären.
Ein den Beamten vorliegendes Gutachten aber kam zu dem Schluß, daß die Beschädigung von innen entstanden sein muß. Möglicherweise, sagte Monika Weimar nun, wäre das passiert, als sie und ihr amerikanischer Freund sich in der Nacht nach einem Disko-Besuch auf den Autositzen liebten.
Die Beamten hatten Monika Böttcher ihre neue Schilderung im Hof des Polizeireviers mit einem eilends herangeschafften Auto „demonstrieren“ lassen. Sie hätte das, heißt es im Protokoll, „freiwillig“ getan.
Kommissar Küllmer geht so weit, noch heute auszusagen, es sei „ihr Wunsch“ gewesen. Das „Geständnis“ hätte sie direkt nach der „Demonstration“ gemacht. Die Zeugen verstehen die Fragen des Vorsitzenden, warum keine weibliche Beamtin dabei war, gründlich falsch. „Wir waren ja mit vier Männern dabei“, antwortet Küllmer treuherzig.
Das ist besser zu begreifen, wenn daran erinnert wird, daß in der Hersfelder Lokalpresse damals das Gerücht kursierte, Monika Weimar hätte es nicht nur mit einem GI, sondern mit allen möglichen Männern getrieben – unter anderem auch mit dem ermittelnden Staatsanwalt.
Die vier Männer jedenfalls, die sich da gegenseitig schützten, standen „um das Fahrzeug rum, dann lag sie in Rückenlage und hat die Beine oberhalb des Armaturenbretts gegen die Scheibe gehalten“. Als die Frau sich gegen das Fotografiertwerden wehrt, wurde ihr von den Polizisten vorgeschlagen, „sich doch ein Tuch über das Gesicht zu legen“. Bilder davon gibt es nicht. Der aufgeregte Fotograf belichtete versehentlich doppelt.
Die Beamten waren sich da längst sicher, daß Monika Weimar anonyme Briefe an sich selbst geschrieben hatte, bevor die Leichen der beiden Mädchen gefunden worden waren. Und sie hatten einen Zeugen, der an einem der Leichenfundorte einen weißen Passat gesehen hatte. Ausräumen können hätte die Frau diese Verdachtsmomente nicht mehr. Genau dies aber, beteuern die Beamten immer wieder, sei ihr Anliegen am 28. August gewesen: „Widersprüche klären und ausräumen“.
Ob Monika Böttcher denn die Vernehmung als freie Frau hätte verlassen können? fragt Anwalt Strate. Das, so Zeuge Kaufmann, „wäre wohl nicht möglich gewesen“. Wann sie Beschuldigte wurde? Das sei, so der Beamte, „ein fließender Übergang gewesen“. Monika Böttcher hatte, wie ein in die Enge getriebenes, aber folgsames Kind versucht, die Widersprüche auszuräumen, statt sich gegen den – unausgesprochenen – Mordvorwurf zu wehren. Die Briefe hätte sie geschrieben, um indirekt auf die Nähe der Kinder hinzuweisen, weil sie in diesem heißen Sommermonat „wollte, daß sie bald gefunden werden“.
Sie hat auch zugegeben, am Fundort der älteren Tochter gewesen zu sein. Ihr Mann, sagte sie, habe die Kinder nachts weggebracht, sie habe ihn am Morgen angeschrien und geschüttelt, damit er ihr sagt, wohin. Sie habe das alles nicht begriffen, nicht fassen können und wollte die Kinder „noch einmal sehen“. Dann sei sie losgefahren und habe gesucht, habe aber nur Melanie gefunden. Da aber glaubt ihr längst niemand mehr.
Letzte Woche ist der vom Zeugen Kaufmann über seinen Anfangsverdacht gefertigte Vermerk aufgetaucht. Das Schriftstück war vom Gericht in den eigenen Unterlagen vergeblich gesucht worden und fand sich dann in den inzwischen aus Bad Hersfeld angeforderten Polizeiakten abgeheftet. Er stammt vom 19. August und listet sorgfältig die Verdachtsmomente auf. An erster Stelle steht „die Art der Tötung... Auf eine sanfte Art, die Kleider waren geordnet, die Haare gekämmt“. Und: „Die Mutter wollte, daß die Leichen möglichst früh gefunden werden und bei der Auffindung noch schön waren.“
Beisitzender Richter Brinker fragt nach: „Ist es nicht ein etwas kühner Schluß zu sagen, dadurch, daß die Kinder sanft umgebracht worden sind, kann es nur eine Frau gewesen sein?“ Könne der Vermerk, bohrt er nach, auch als „internes Papier“ dazu gedient haben, „die Dinge in eine bestimmte Richtung weiter zu fördern“? Genau das, sagt der Zeuge Kaufmann unumwunden, habe er bezweckt.
Rechtsanwalt Strate beantragt die Heranschaffung „sämtlicher“ fehlender Akten und zu deren Studium die Aussetzung des Verfahrens. Dies falle ihm, sagt er, schwer, denn seine Mandantin leide „massiv unter dem Verfahren“, das sie eigentlich schnell hinter sich bringen wolle: „Wir reden hier immer über die Kinder. Es sind ihre Kinder.“
Und dann geschieht etwas in bundesdeutschen Gerichtssälen sehr Seltenes. Oberstaatsanwalt Böscher stimmt ihm zu und bittet lediglich darum, eine Aussetzung zu vermeiden. Nebenklagevertreter, Rechtsanwalt Bernd Schneider, der die Interessen von Reinhard Weimar wahrnimmt, schließt sich an und sieht die Notwendigkeit der Aussetzung „zu einem Zwang verdichtet“.
Die Entscheidung darüber wird am 3. August vom Gericht verkündet werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen