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Kniefall vor dem gutgläubigen Kanzler

■ Voscherau bittet Kohl um Errettung der Pleite- und Hansestadt Hamburg

„Es geht um unsere Demokratie“, klagte Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) gestern auf der Landespressekonferenz über die katastrophale Finanzlage der Städte und Kommunen. Daß auch das reiche Hamburg zur Pleite- und Hansestadt wurde, in deren Haushalt ein 1,4-Milliarden-Loch klafft, ist nach Ansicht Voscheraus kein hausgemachtes Problem. Schuld seien die strangulierenden Bundesgesetze, die insbesondere den Großstädten die finanziellen Lasten der Migrationsströme und sozialen Nöte aufbürden. Denn Sozialhilfe müssen trotz wachsender Langzeitarbeitslosigkeit und Flüchtlingsbewegungen die Städte und Kommunen allein finanzieren. „Hamburg ist als Stadtstaat besonders davon betroffen“, so der Senatschef.

Doch trotz der Dramatik ließ der Bürgermeister sich zu nicht mehr als einem flammenden Appell an Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) hinreißen. In einem Brief, so Voscherau, bitte er „um Abhilfe“. Kohl kenne zwar die Probleme, aber „hat sie nicht so täglich – ich aber!“ Deshalb sei dies auch kein Angriff auf den Kanzler, „sondern sachliche Überzeugungsarbeit“. Den gutgläubigen Kohl will er in Sachen kommunale Finanzen „bösgläubig“ machen.

Ein vom Senat beschlossenes Memorandum „Städte in der Finanzkrise“ listet ausführlich und detailreich auf, warum nicht nur Hamburg, sondern alle Städte und Kommunen vor dem fiskalen Zusammenbruch stehen. „Die Großstädte sind die Verlierer“, hat Voscherau herausgefunden. Auf der Kostenseite müßten sie die finanzielle Last wachsender Armut und sozialer Notlagen tragen. Und anders als Flächenländer wie NRW oder Hessen könne der Stadtstaat Hamburg diese Kosten nicht über einen kommunalen Finanzausgleich verteilen. Hinzu kämen die ungerechten Steuergesetze – das Speckgürtelproblem. Die Arbeitsstadt bekomme nichts von der Einkommenssteuer und die Schlafstadt alles. Voscherau plädiert hier für eine „faire, hälftige Teilung“.

Mit den anderen ebenfalls vor der Pleite stehenden Städten hat Voscherau sich allerdings bisher nicht verbündet. Man habe „in Kaminrunden“ darüber gesprochen; die Probleme seien parteiübergreifend überall ähnlich. In Bonn stoße man auf „offene Ohren und verschlossene Taschen“, so der Bürgermeister, auch bei der Bundes-SPD.

Eine einstmals angekündigte Verfassungsklage hat der Hamburger Senat allerdings bisher nur erwogen. Laut Voscherau verstößt die Ausblutung der Kommunen gegen die verfassungsrechtlich garantierte Finanzautonomie von Ländern und Gemeinden. Man müsse jedoch „sehr gründlich prüfen“, ob der Gang nach Karlsruhe wirklich für Hamburg Vorteile bringen würde. Da bei der vergangenen Verfassungsklage letztlich nur die Bettel-Länder Bremen und Saarland über den Finanzausgleich profitierten – für den Hamburg zahlen muß –, sei das „eine taktische Frage“. Silke Mertins

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