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Bummeltour durch den Norden

Der spurtgewaltige Erik Zabel schnappte dem Italiener Mario Cipollini den Sieg bei der dritten Etappe der 83. Tour de France vor der Nase weg  ■ Von Matti Lieske

Berlin (taz) – Auf der 3. Etappe der diesjährigen Tour de France ging die Rechnung der Mannschaft von Mario Cipollini, die am Vortag so hervorragend funktioniert hatte, nicht auf. Als der Italiener im Schlußspurt aus dem Pulk der Sprinter herausschoß, um den frechen Franzosen Frédéric Moncassin in die Schranken zu weisen, tauchte plötzlich noch ein anderes Trikot neben ihm auf: das von Erik Zabel, der sich, durch die Fehlversuche der vorigen Tage schlauer geworden, an das Hinterrad von Cipollini gehängt hatte, auf diese Weise von der vorbildlichen Arbeit des Saeco-Teams profitierte und am Ende den Etappensieg in Nogent-sur-Oise feiern konnte.

Zabels Telekom-Mannschaft war ihm keine große Hilfe, da sie im Gegensatz zu den letzten Jahren weniger auf Etappensiege setzt, weil sie nunmehr mit Bjarne Riis einen Aspiranten auf den Gesamtsieg in ihren Reihen hat. Die Unterstützung des Dänen hat in den Augen von Team-Direktor Walter Godefroot eindeutig Vorrang. „Ich habe entschieden, mir meinen Weg im Finale allein zu suchen“, zog der 25jährige die Konsequenz, nicht ohne leicht meuternd anzufügen: „Wir müssen jetzt mal aufhören, den Riis so zu verhätscheln.“

Cipollini wurde zweiter vor Moncassin, der auf der Bummeletappe, bei der die Fahrer zuweilen das Tempo eines Sonntagsausflugs anschlugen, sein großes Ziel erreichte, durch eine Zeitgutschrift Alex Zülle als Träger des gelben Trikots abzulösen. Der Schweizer zeigte allerdings wenig Neigung, das Leibchen des Spitzenreiters zu verteidigen, denn auch er strebt in diesem Jahr nach höheren Zielen als ein paar Tagen in Gelb. Ebenso wie sein Mannschaftskollege Laurent Jalabert will er endlich Miguel Induráin an den Kragen und den Toursieg ergattern.

Der spanische Gewinner der letzten fünf Jahre tat auf den bisherigen äußerst unwirtlichen Etappen in Belgien und Nordfrankreich nur das Notwendigste, um das Rennen zu kontrollieren, was bei den widrigen Bedingungen mit starkem Wind und heftigen Regengüssen sowie der teilweise abenteuerlichen Streckenführung gar nicht einfach war. Zwar war das Tempo längst nicht so hoch wie in den Anfangswochen der vergangenen Jahre, und es gab nur wenige Attacken, die es für die Favoriten zu unterbinden galt, aber gemütlicher war die Tour dadurch keinesfalls. „Man muß während der Etappe unbedingt an der Spitze sein, um Gefahren und plötzliche Lücken zu vermeiden“, sagt Induráin, „aber das ist hart und sehr schwer.“ Sein Helfer José Luis Arrieta erklärt in seiner täglichen Kolumne für El Pais, warum dies so schwierig ist: „Fährst du hinten, denkst du, ,wie schlapp fahren wir eigentlich‘, aber wenn du beschleunigst und dich an die Spitze setzt, mit dem vollen Wind im Gesicht, verstehst du den Grund.“

Tony Rominger, der ewige Hauptkonkurrent Induráins, ließ auf der ersten Etappe die nötige Aufmerksamkeit vermissen, schon fiel seine Gruppe zurück und er verlor neun Sekunden. Das sei nicht viel, meinte der Schweizer zwar, ärgerte sich aber trotzdem mächtig über seine Fahrlässigkeit: „Man kann die Tour in den ersten Tagen nicht gewinnen, aber man kann sie sehr wohl verlieren.“ Fortan paßte er besser auf, aber auch das war nicht recht. „Wenn man entspannt und ruhig fährt, schaffen sie Lücken, und wenn ich mich abarbeite, um an der Spitze zu sein, trödelt das ganze Feld und es gibt keine Lücken“, ärgerte sich Rominger, der seine Vorbereitung in diesem Jahr der von Induráin anglich und keine große Rundfahrt vor der Tour bestritt.

Bislang war die 83. Tour de France ein Eldorado für Sprinter wie Cipollini, den die Zeit allerdings auch drängt, denn am Samstag geht es in die Alpen. Und dort ist für den smarten Italiener, der das Bergauffahren von ganzem Herzen haßt, die Tour meist schon zu Ende. Am Sonntag wird das Feld beim Bergzeitfahren nach Val d'Isère kräftig durchgeschüttelt, richtig flach wird es erst wieder in der letzten Tourwoche. Dann muß sich Erik Zabel, so er noch dabei ist, ein anderes Hinterrad suchen.

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